Als Österreich-Ungarn 1914 das berühmte Ultimatum an Serbien richtete, das zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte, wusste jeder, dass Belgrad die darin aufgeführten Bedingungen unmöglich erfüllen konnte. Es war eine Kriegserklärung, gekleidet in die Formel "wenn ihr nicht ..., dann". Sehr ähnlich liest sich die Resolution, die die Bush-Administration in Sachen Irak vom Sicherheitsrat erreichen möchte. Kein vernünftiger Mensch (außer Jörg Haider) hat Sympathie für Saddam Hussein und sein Diktaturregime, niemand wäre traurig, wenn er gestürzt würde. Aber welcher Staatschef der Welt könnte zustimmen, wenn von ihm nicht nur der freie Zugang von UN-Waffeninspektoren zu jedem beliebigen Ort im Lande verlangt würde, sondern auch deren Begleitung durch bewaffnete Truppen des erklärten Todfeindes? Landerechte für US-Soldaten überall im Irak? Freie Hand für die Einrichtung von Zonen, in denen jeder Flug- und Straßenverkehr außer dem der Amerikaner verboten wäre? Auslieferung eigener Staatsbürger an die USA zur "Befragung" wann immer gewünscht? Das bedeutet nicht weniger als die freiwillige Zustimmung zu einer Art amerikanischer Besatzung. Und als Clou das vom Kongress bestätigte Recht des US-Präsidenten zur militärischen Aggression, ohne vorher die UN zu konsultieren, wann immer Washington eine Behinderung der Inspektionen ortet. Im Klartext: freie Hand für den Angriffskrieg. Der Irak ist ohne Zweifel ein "Schurkenstaat", aber er hat seit dem Golfkonflikt niemanden angegriffen und die vorgelegten Beweise, dass eine Bedrohung der USA vorliegt, haben niemanden wirklich überzeugt. Es wäre ein klassischer Präventivkrieg. "Das hatten wir schon mal", hatte die deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin im deutschen Wahlkampf gesagt. Undiplomatisch, aber wahr. Wegen dieses "ungeheuerlichen Vergleichs von George Bush mit Adolf Hitler" musste sie unverzüglich zurücktreten. Und weil Schröder beim Irakkrieg nicht mitmachen will, wurde der wiedergewählte Kanzler des größten europäischen Landes und treue Verbündete der USA durch Nichtgratulation gedemütigt und sein Verteidigungsminister vom US-Kollegen behandelt wie ein Schulbub, der sich eine Frechheit gegenüber dem Lehrer leistet. Es ist üblich geworden, jede noch so sanfte Kritik an der derzeitigen US-Regierung mit langen Beteuerungen einzuleiten, man sei um Gottes willen nicht antiamerikanisch, aber . . . Gut so. Die Europäer und speziell die Österreicher haben den USA viel zu verdanken, an erster Stelle die Befreiung vom Naziregime und die lebensrettende Hilfe beim Wiederaufbau. Aber allmählich finden auch die Freunde Amerikas die Haltung der Bush-Regierung unerträglich. Und wirkliche Amerikafeinde, denen die US-Demokratie ein Dorn im Auge ist, wittern bereits Morgenluft. Die Amerikaner hören nicht viel auf die Europäer, die nach ihrer Meinung immer nur kritisieren, aber nicht imstande sind, selber militärisch zu handeln. Wenn Soldaten gebraucht werden wie in Jugoslawien, dann geht Europa zu den USA betteln. Die USA dagegen können auf die Hilfe der Europäer leicht verzichten. Spätestens die Irakkrise zeigt, dass wir ein starkes, militärisch ernst zu nehmendes Europa dringend brauchen. Sonst dürfen wir uns nicht beklagen, wenn die einzige Supermacht ihre Monopolstellung ausspielt und einen Krieg anfängt, ohne sich um die Bedenken der restlichen Welt zu kümmern. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.10.2002)