Bühne
Wien, Wien und noch einmal: Wien!
Am Samstag wurde zum dritten Mal nachdrücklich bewiesen: Der Nestroy-Preis ist ein Unsinn
Wien - Wahnsinn! Ein Erdrutsch! In drei Jahren Nestroy-Preis stellt das Burgtheater erstmals nicht die "beste deutschsprachige Aufführung"! Michael Thalheimers Deutung von Emilia Galotti
darf seit Samstagabend nach einer pompösen, schwerfälligen Gala diesen Titel tragen.
Burg-Chef Klaus Bachler, der den Preis überreichte, war aber immer noch guter Dinge: In drei Kategorien wurden seinem Haus Auszeichnungen zuteil: Bester Nachwuchs: Johanna Wokalek (die jetzt "erwachsen" werden will). Beste Ausstattung: Martin Zehetgruber. Beste Innovation: Bert Wrede - wie Zehetgruber für
Letzter Aufruf
im Burg-Arsenal, zu dem er, wie auch für
Edward II.
in Klagenfurt, die Bühnenmusik gestaltet hat.
Weniger guter Dinge schien Klaus Bachler in Sachen ORF, der zwar den "Nestroy" - quasi als heimische Oscar-Variante - ausstrahlt, ansonsten aber immer weniger Theateraufzeichnungen anbietet. So sahen also viele Menschen, die das, was hier prämiert wurde, vermutlich nie sehen werden, gefeierte Entscheidungen einer Nestroy-Akademie, deren Mitglieder die prämierten Darbietungen nur teilweise kennen - von einer Übersicht über den deutschen Sprachraum ganz zu schweigen. Dementsprechend jagte eine nichts sagende Phrase die nächste. Völlig überflüssig.
Bester Schauspieler wurde wie im Vorjahr Sven-Eric Bechtolf (heuer als Hofreiter in
Das weite Land
bei den Wiener Festwochen). Beste Schauspielerin: Ulli Maier (als Agathe im Josefstädter
Mann ohne Eigenschaften
). Beste Nebenrolle: Anna Franziska Srna (als Marie im
Woyzeck
am Wiener Volkstheater). Beste Regie: Michael Schottenberg (für
Der Talisman
, ebenfalls im Volkstheater). Bester Autor: Roland Schimmelpfennig (
Push up 1-3
, aufgeführt von der Wiener Kompagnie Theater.Punkt).
Das heißt - zumindest nach der Logik des Nestroy-Preises: Das beste deutschsprachige Theater findet immer noch, praktisch zu hundert Prozent, in Wien statt. Entschuldigung, eine kleine Abweichung gab's noch: Die beste Off-Produktion, die Theaterserie
LKH
in Graz - eine Kooperatiuon des Theaters im Bahnhof mit dem Schauspielhaus.
Auch der Preis für das Lebenswerk verortete ebendieses Werk ausschließlich im und rund um das Burgtheater: Dass Claus Peymann vor und nach seiner Burg-Direktion auch woanders gearbeitet hat, hat selbst seinen Laudator André Heller nicht besonders interessiert. Der erzählte dafür ein launiges Bundeskanzler-Schüssel-Märchen und forderte Peymann auf, es mit Franz Morak in der Hauptrolle zu inszenieren. Die Sponsoren von der Erste Bank waren angeblich "not amused".
PS: Der S
TANDARD
-Kritiker und Kolumnist Peter Vujica legt übrigens Wert auf die Feststellung: Anders als in
Format
stammen die Texte dieses Abends (Moderation: Andrea Eckert) weitgehend nicht mehr von ihm.
(DER STANDARD, Printausgabe, 14.10.2002)
"Missbrauch einer
Kulturveranstaltung" ortete ÖVP-Vizechefin und Bildungsministerin Elisabeth Gehrer bei einer
Pressekonferenz am Montag: "Andre Heller und Andrea Eckert haben die Nestroy-Gala am
Samstag massiv für parteipolitische Zwecke missbraucht".
SPÖ-Kultursprecherin Christine Muttonen reagierte in einer Aussendung: Die
"Missbrauchsvorwürfe" durch Gehrer seien ein "Zensurversuch gegen
unabhängige Künstler".
Hellers "Märchen"
Heller hatte in seiner Laudatio auf Claus Peymann, der den Nestroy
für sein Lebenswerk erhielt, ein "Märchen" über einen Politiker
erzählt, der sich in einem "zynischen Egotrip" zum Kanzler gemacht
und dabei sein Land ins Unglück gestürzt habe. Gala-Moderatorin
Eckert hatte anschließend darum gebeten, dass die bevorstehende
Nationalratswahl "nicht wieder in einer Schmierenkomödie endet".
Gehrer erinnert das "fatal an die Zeit der Sanktionen. Es sind die
selben Personen, die selben Handlungsmuster, die gleiche
menschenverachtende Sprache und es ist das Aufreißen von Gräben. Für
uns ist das Politik aus dem Container."
Die Forderung Gehrers, die SPÖ und die anderen Mitbewerbern mögen sich distanzieren, wies Muttonen als "völlig unangebracht"
zurück, da Heller nichts anderes getan habe, als "pointiert und
realitätsgetreu die näheren Umstände der letzten Regierungsbildung zu
beleuchten".
ORF will "Derartiges hintanhalten"
Gehrer kündigte an , die ÖVP werde Publikumsrat, Bundeskommunikationssenat und
ORF-Stiftungsrat anrufen und erwarte sich, dass diese tätig werden,
so Gehrer. In einer Aussendung distanzierte sich der ORF von den
kritisierten Äußerungen und "bedauert, dass eine Kulturveranstaltung
zur Bühne politischer Agitation wurde" sowie "für Zwecke der
Parteipolitik und Wahlpropaganda benutzt" worden sei.
In Zukunft
würde "nach Mitteln und Wegen" gesucht, "Derartiges hintanzuhalten,
insbesondere darauf zu achten, dass die Moderation nicht die durch
das Objektivitäts- und Pluralitätsgebot gesetzten Grenzen
überschreitet". Der ORF wies darauf hin, dass die Verleihung vom
Verein "Wiener Theaterpreis" und nicht vom ORF organisiert wurde und
die Laudatio von Heller und die Schlussmoderation von Eckert im
Vorfeld der Übertragung nicht zugänglich gewesen seien.
Nicht im Drehbuch
Der Verein Wiener Theaterpreis "kann und will Laudatoren nicht auf
bestimmte Worte festlegen", möchte "allerdings festhalten, dass er
Wahlempfehlungen während der Gala für unangebracht hält und auch
diesbezügliche Äußerungen der Moderatorin weder im Drehbuch standen
noch in irgendeiner Weise abgesprochen waren", hieß es in einer
Aussendung.
Inzwischen wies der Vorstand der Internationalen
Nestroy-Gesellschaft darauf hin, dass die Gesellschaft mit dem
Nestroy-Theaterpreis "nichts zu tun hat". "Zu unserem Bedauern ist
der Name 'Nestroy' so wie z. B. auch der Name 'Mozart' - siehe:
Mozartkugel - nicht zu schützen und kann von jedermann verwendet
werden". (APA)