Der Spitzendiplomat und Buchautor war als Generalsekretär im Außenamt jahrelang "Vorstandsvorsitzender" der österreichischen Außenpolitik.

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Standard: Zu Beginn Ihrer Amtszeit als Generalsekretär im Außenamt stand der EU- Beitritt. Wie hat das Österreichs Außenpolitik verändert? Rohan: Wir sind jetzt Teil eines weltpolitischen Faktors, und haben viel größeres Gewicht bekommen. Andererseits können wir außenpolitisch nicht mehr tun, was wir wollen. Insgesamt glaube ich, dass uns die EU aber eine wesentlich stärkere Rolle ermöglicht hat. Für mich war die EU- Präsidentschaft die wichtigste Zeit. Allerdings halte ich diese Art der rotierenden EU-Präsidentschaft für überholt, allein wir hätten uns mehr als 100 Millionen Schilling an Kosten ersparen können. Ich glaube, dass die Rolle und Funktionsweise der EU-Präsidentschaft sehr eingeschränkt werden sollte, in diesem Sinn finden die EU-Räte ja auch schon in Brüssel statt. Standard: Wie wichtig ist die EU-Erweiterung für uns? Rohan: Für Österreich ist die Erweiterung das wichtigste, das primäre Ziel, weil nun unsere Nachbarschaft in die europäische Stabilitätszone aufgenommen wird. Das integrierte Europa ist ein wahres Paradies: Wir haben im integrierten Europa seit 50 Jahren keinen Krieg mehr geführt, wir haben einen ungeahnten Wohlstand, wir haben Stabilität mit all den positiven Folgen für den Einzelnen. Wenn heute wegen der Kosten, oder weil der eine oder andere Arbeitsplatz gefährdet würde, bei uns Skepsis an der Erweiterung laut wird, dann muss man fragen: Was haben wir gewonnen? Unser Gewinn sind nämlich Friede und Wohlstand, und das betrifft jeden Einzelnen. Wir hätten alle nur das halbe Einkommen, gäbe es Frieden und Stabilität nicht. Nur muss man die Funktionsfähigkeit der EU durch strukturelle Anpassung erhalten, man muss die Frage der Präsidentschaft anders lösen, im Rat müssen mehr Mehrheitsentscheidungen getroffen werden können. Standard: Haben Sie die österreichischen Ressentiments gegen die Erweiterung gestört? Rohan: Na sicher. Ich bin mir der Ziele und Interessen Österreichs sternenklar bewusst. Wenn Hindernisse aus durchsichtigen populistischen Motiven und Kleingeistigkeit geschaffen werden, ist das betrüblich. Die Rolle, die Österreich in Mitteleuropa hat oder haben könnte, wurde durch die Behandlung von Fragen wie der Benes-Dekrete und Temelín zunichte gemacht. Standard: Was ist bei den Benes-Dekreten falsch gelaufen? Rohan: Falsch lief die Verknüpfung der Benes-Dekrete mit dem Erweiterungsprozess. Die Benes-Dekrete sind etwas, das unseren Rechtsauffassungen widerspricht, vor allem das Amnestiegesetz. Dass sie weggehören, darüber ist man sich einig. Der Fehler war, die Tschechen zwingen zu wollen, Maßnahmen zu setzen, was sich kein Land der Welt gefallen lässt. Außerdem macht man durch Zwang kooperationsbereite Tschechen mundtot. Politische Intelligenz auf der einen, aber auch Geduld auf der anderen Seite ist angebracht. Standard: Was wird aus Österreichs Neutralität in der EU? Rohan: Das muss ich auch im Hinblick auf den Wahlkampf sagen: Man sollte den Menschen nichts von "aktiver Neutralitätspolitik" vorgaukeln. Jeder weiß, dass das Wort Neutralität allerhöchstens Kopfschütteln hervorruft, aber nicht dazu angetan ist, das Ansehen Österreichs international zu mehren. Ich bin sehr für die Parole "Solidaritätspolitik", die von der SPÖ ausgegeben wird, genau das ist es. Dazu gehört aber auch, dass Österreich seine Beiträge zu Entwicklungszusammenarbeit und internationalen Hilfsaktionen rasant erhöht, denn diese sind beschämend. Standard: Gehören Abfangjäger auch in dieses Bild? Rohan: Nein, sicher nicht. Wenn man die Rolle Europas stärken will, gehören Außen- und Verteidigungspolitik koordiniert. Es ist absurd, wenn Europa ab 2004 25 verschiedene Verteidigungssysteme, 25 Verteidigungsminister und so weiter hat. Jedes Ländchen hat heute Abfangjäger, das kann es doch nicht sein. Warum sagt man nicht, wir leben in einer neuen Zeit, in der das Souveränitätsdenken des 20. Jahrhunderts nicht mehr den Stellenwert besitzt, legen unsere Verteidigungen zusammen und machen eine echte Arbeitsteilung. Manche Länder überwachen den Luftraum, wir zum Beispiel könnten unser Können im Alpinbereich einbringen. Man könnte so viel Geld einsparen. Standard: Eine weitere Erfahrung in Ihrer Amtszeit waren die Sanktionen. Rohan: Ich habe das mit einer tiefen Empörung erlebt, weil ich die Sanktionen als völlig rechtswidrig und politisch falsch angesehen habe. Für mich stand im Vordergrund, sie wegzubringen. Unsere Strategie war, die öffentliche Meinung in den Sanktionsländern zu beeinflussen, was unsere Botschaften in bewundernswerter Weise taten. Standard: Bundeskanzler Schüssel hat den damaligen Berater des deutschen Bundeskanzlers Schröder, Michael Steiner, der Urheberschaft bezichtigt. Stimmt das? Rohan: Steiner hat selbst öffentlich behauptet, dass er der Urheber gewesen sei. Mich hat die deutsche Position am meisten enttäuscht, weil die Deutschen uns wirklich besser kennen sollten. Standard: Konnten Sie diese europäische Enttäuschung über die Regierungsbeteiligung der FPÖ emotional nachvollziehen? Rohan: Emotional nicht, eher schon intellektuell. Jedes Land, das damals hämisch gegen Österreich vorging, hatte ein Problem mit dem Rechtspopulismus. Doch der Grad der Brutalität, mit der man gegen uns vorgegangen ist, hat mich überrascht. Standard: Wie haben Sie die Sanktionen persönlich erlebt? Rohan: Auf meiner höchsten Beamtenebene haben sich alle als Freunde erwiesen, nur einmal wurde ein Besuch von in Schweden abgesagt. Standard: Wagen Sie eine Wahlprognose? Rohan: Die Parteien haben in Wirklichkeit nur ganz, ganz wenige Optionen, drei nämlich. Eine Option fällt weg, solange die Knittelfelder Kreise in der FPÖ das Sagen haben und mit Veto gegen die Erweiterung gedroht wird. Das macht eine FP-VP-Koalition unmöglich. Bei Rot-Grün beginnt schon der Streit im Verkehrsbereich. Für mich ist die große Koalition, auch wenn sie wenig Begeisterung hervorruft, die beste Alternative.(DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.10.2002)