Wien - Wolfgang Schüssel (54) ist nach fast 30 Jahren der erste
"schwarze" Bundeskanzler in Österreich. Die letzte Bundesregierung
unter ÖVP-Führung endete am 21. April 1970. Der Hobby-Karikaturist
und Klavierspieler absolvierte eine klassische Parteikarriere, die
ihn über den Parlamentsklub und den Wirtschaftsbund in die Regierung
führte. Seit 24. April 1989 gehörte er der Koalitionsregierung an.
Falls wir Dritter werden, gehen wir in die Opposition
Nach der Wahl vom 3. Oktober 1999 wollte der ÖVP-Obmann eigentlich
mit den Seinen auf der Oppositionsbank Platz nehmen, nachdem seine
Partei erstmals hinter der FPÖ nur den dritten Platz belegte. "Wir werden unter keinen Umständen an einer Regierung teilnehmen, wenn wir nicht zumindest Zweite sind", sagte er damals wörtlich.
Die ÖVP an dritter Stelle würde nicht mehr an einer Regierung mit
der SPÖ teilnehmen. Sie würde "selbstverständlich" auch keinen
freiheitlichen Kanzler unterstützen, "wen auch immer". Und sie würde
auch nicht ein Angebot der FPÖ annehmen, trotzdem den Kanzler stellen
zu können. "Einen Gnadenakt brauchen wir nicht", sagte Schüssel. Und:
"Wer uns in der Regierung will, muss uns wählen."
Die Wende
Nach
langwierigen Sondierungen ließen sich Schüssel und die ÖVP
schließlich aber doch zu Regierungsverhandlungen mit der SPÖ bewegen,
die in den frühen Morgenstunden des 21. Jänner allerdings endgültig
scheiterten. Als klar war, dass ein rotes Minderheitskabinett kaum
Unterstützung finden würde, war der Weg für Verhandlungen zwischen
ÖVP und FPÖ frei.
Klestil dagegen
Die unerwartet starke EU-Kritik an einer geplanten
FPÖ-Regierungsbeteiligung, Demonstrationen und Proteste im In- und
Ausland ließen die Bildung der neuen Koalition dann aber wieder
fraglich erscheinen. Bundespräsident Thomas Klestil deponierte, dass
eine solche Regierung nicht seinem Wunsch entspreche. Klestil erteilte den Auftrag zur Regierungsbildung erst nachdem er eine Präambel für deren Programm vorgelegt hatte.
Klassische Parteikarriere
Schüssel ist verheiratet und hat eine Tochter und einen Sohn. Er wurde am 7. Juni 1945 in Wien geboren. Er absolvierte
eine klassische Parteikarriere: Nach dem Jusstudium war er zunächst
Klubsekretär der ÖVP im Parlament (1968 bis 1975) und Generalsekretär
des Wirtschaftsbundes (1975 bis 1989). 1979 wurde er Abgeordneter zum
Nationalrat, 1987 stellvertretender Klubobmann. 1989 wurde er
schließlich als Wirtschaftsminister in die Regierung berufen. Unter
seinem Motto "Weniger Staat, mehr Privat" war und ist er ein
Verfechter der Privatisierung.
Am 22. April 1995 löste er nach einem heftigen innerparteilichen
Gerangel Erhard Busek als Obmann der ÖVP ab. Am 4. Mai 1995 trat er
in der Regierung die Nachfolge Buseks als Vizekanzler und Alois Mocks
als Außenminister an. Noch im selben Jahr initiierte Schüssel
angesichts massiver Budgetprobleme vorzeitige Neuwahlen. Die
Erwartung, mit der ÖVP Nummer eins zu werden, ging nicht in
Erfüllung. Gelungen ist der dann doch fortgesetzten SP-VP-Koalition
mit Hilfe von zwei massiven Sparpaketen eine Budgetkonsolidierung,
die Österreich die volle Teilnahme an der Währungsunion ermöglichte.
Der bisherige Höhepunkt seiner außenpolitischen Karriere erlebte
Schüssel im zweiten Halbjahr 1989 als EU-Ratsvorsitzender.
"Amsterdamer Frühstücksaffäre überlebt"
Innerparteilich ist Schüssel, der vor den EU-Sanktionen das Mascherl zu seinem
Markenzeichen gemacht hatte, unumstritten wie kaum ein VP-Obmann zuvor.
Die in den Jahren davor eifrig gepflegte Obmanndebatte blieb aus. Er
überlebte auch die "Amsterdamer Frühstücksaffäre" im Jahr 1997. Dem
Außenminister und Vizekanzler war vorgeworfen worden, vor
Journalisten den Chef der deutschen Bundesbank beschimpft zu haben.
Knapper Dritter
Seine erste Nationalratswahl als ÖVP-Chef im Jahr 1995 hat der
Volkspartei einen - schwachen - Zugewinn gebracht, bei der Europawahl
1996 erreichte die Volkspartei Platz eins. Weniger gut lief es 1999:
Bei der EU-Wahl im Juni rutschte die ÖVP auf Platz zwei. Und bei der
Nationalratswahl im Oktober fiel die Volkspartei denkbar knapp auf
den dritten Rang zurück.
"..."
Während seiner Regierungszeit fiel der Bundeskanzler vor allem durch eine Eigenschaft auf: Schweigsamkeit. Die regelmäßigen Turbulenzen innerhalb des Koalitionspartners FPÖ kommentierte Schüssel kaum bis gar nicht. Bis zum 9. September 2002: Nachdem die halbe Regierunsmannschaft der FPÖ auf Grund von der bis dato massivsten blauen Krise zurückgetreten war, sprach der Kanzler: "Ich will Klarheit schaffen" und forderte zum ehestmöglichen Zeitpunkt Neuwahlen.
In einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" meinte Schüssel Anfang Oktober, dass Jörg Haider seiner Meinung nach nicht der große Drahtzieher, der für die interne Krise der FPÖ, die die ÖVP-FPÖ-Koalition zu Fall brachte, gewesen sei.
Für die kommende Legislaturperiode hat Schüssel eine neuerliche Koalion mit der FPÖ nicht ausgeschlossen. (APA/rasch/red)
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