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EU-Kommissar Franz Fischler hat Recht, wenn er meint, dass die Erweiterung der Europäischen Union um zehn Länder nicht mehr zum Scheitern gebracht werden kann. Zu wichtig ist dieses größte politische und diplomatische Vorhaben seit Ende des Zweiten Weltkriegs für Europa. Dessen ist man sich in Brüssel und den Nationalstaaten bewusst. Die Erweiterung ist die Vollendung des groß angelegten und über viele Jahre konsequent verfolgten Projekts der Wiedervereinigung Europas, um den alten Kontinent dauerhaft befrieden zu können. Das klingt hochtrabend und nach politischen Sonntagsversprechen, ist aber dennoch nicht falsch. Bis ins letzte Detail wurde die Erweiterung sowohl in Brüssel als auch in den Kandidatenländern vorbereitet. Erweiterungskommissar Günter Verheugen und sein Team haben ganze Arbeit geleistet. Der von der Kommission vorgelegte Fortschrittsbericht, in dem empfohlen wird, mit zehn Ländern Ost- und Mitteleuropas die Verhandlungen zur Aufnahme in die EU abzuschließen, ist eine kritische Würdigung der enormen Anstrengungen der Kandiatenländer in den vergangenen fünf Jahren. Den Staaten hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang ist bewunderungswürdig viel gelungen, berücksichtigt man ihre Ausgangssituation. Gleichzeitig ist der Bericht der Kommission kein Freibrief für die zehn Neuen. Sie werden sich bis 2004 weiter anstrengen müssen, um tatsächlich für den Beitritt fit zu sein. Deutlich sind in den Fortschrittsberichten die noch vorhandenen Defizite in jedem einzelnen Kandidatenland angesprochen. Weder beschönigt noch verkleinert finden sich die Hinweise in den Länderberichten über die vorhandenen Mängel beim Kampf gegen die Korruption, bei der Einhaltung der Minderheitenrechte, im Bereich des Wettbewerbs, bei den unzähligen administrativen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Implementierung des Rechtssystems der EU, bei der Verwirklichung der grundlegenden Freiheiten. Das sind alles andere als Kleinigkeiten, und dessen ist man sich auch in Brüssel bewusst. In den Bericht wurden daher strenge Schutzklauseln eingebaut, die mindestens zwei Jahre gelten und die es der EU erlauben, die Neuen weiterhin mehr oder weniger sanft zu zwingen, die von ihr verlangten Kriterien einzuhalten. Darüber hinaus wird das Monitoringsystem mindestens noch 2003 aufrechterhalten. Schließlich wird es noch einen Kontrollbericht sechs Monate vor dem Beitritt geben, um notfalls Sicherungsmaßnahmen frühzeitig einleiten zu können. Das alles wurde keinesfalls ausgetüftelt, um es den künftigen Mitgliedern unnötig schwer zu machen. Vielmehr haben die Maßnahmen den Sinn, eine Verwässerung der EU zu vermeiden. Eine solche läge nur im Interesse der Euroskeptiker, denen die bisherige Integration schon viel zu weit geht. Ihnen wäre eine losere Union als Folge der Erweiterung unter Umständen lieber als ein starkes Europa, das in vielen Fragen nicht nur als Payer, sondern auch als globaler Player auftritt. Wobei jene, die diesem Modell Europas anhängen, die Entwicklungen der Gegenwart verschlafen haben. Der Zug in Richtung eines Vereinigten Europas ist längst abgefahren. Eine wesentliche Lokomotive dabei ist nicht nur die EU-Kommission, sondern auch der Konvent zur Zukunft Europas, in dem längst die Eigenstaatlichkeit der Europäischen Union zur Debatte steht. Mit allem, was dazugehört, wie zum Beispiel, ob die EU eine eigene Rechtspersönlichkeit bekommen soll, um völkerrechtlich wie ein Staat agieren zu können. Der Europäische Zug ist schneller geworden. Möglicherweise trifft er nicht fahrplanmäßig im Zielbahnhof ein, weil es ungeplante Zwischenstopps gibt - Stichwort Nizza-Referendum in Irland, Prolongierung des Streits um die Direktzahlungen in der Landwirtschaft, Auseinandersetzungen um institutionelle Fragen. Den Zug der Integration zu stoppen wird aber kaum mehr gelingen. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2002)