Eine Krise bei Fiat ist eine Krise für ganz Italien: Der größte Privatkonzern der Halbinsel beschäftigt 160.000 Menschen. Identitätsstiftende Autos werden gefertigt, ebenso wie Baumaschinen, Lastwagen, Roboter. Ganze Landstriche sind Fiat-Territorium. Wenn nun im sizilianischen Termini Imerese die Fertigung aufgelassen werden soll, um Fiat Auto aus den roten Zahlen zu bringen, tritt die ganze Stadt in Generalstreik. Politiker in Rom fürchten, die Fiat-Krise könnte dem italienischen Bruttoinlandsprodukt 0,4 Prozentpunkte kosten.Fiat ist in der schwersten Krise der Geschichte. Diesmal wird kein Muammar Gaddafi auftauchen, der 1976 überraschend bei einer Kapitalerhöhung eingestiegen war und Fiat so rettete. General Motors, mit 20 Prozent beteiligt, hat mit Opel selbst genug Probleme. Jeder fünfte Fiat-Auto-Mitarbeiter, der jetzt seinen Job loswird, muss nun ausbaden, was Konzernleitung und Staat über Jahrzehnte angerichtet haben. Bei den Autos wurden zwar die Qualitätsprobleme in den Griff bekommen, ein stimmiges und nachhaltig profitables Markenbild wurde aber nicht zustande gebracht. Aber auch der Staat verhielt sich nicht gerade weitsichtig: "Das Kabinett wird natürlich versuchen, Fiat zu unterstützen. Leider stehen wir vor einer alten Gewohnheit des Konzerns: Er klopft an die Tür der Regierung, wenn er allein nicht mehr weiterkann", so ein Regierungsmitglied. Immer wenn die italienische Autoindustrie Probleme bekam, spendierte die Regierung Milliarden an Zuschüssen für Käufer neuer Pkw - früher "Verschrottungsprämien", heute "Ökoprämien". Nachfrage wurde künstlich stimuliert, bei der faulen Struktur änderte sich null. Jetzt müssen Fertigungen verschrottet werden, so wie die Zukunftsaussichten Tausender Fiat-Arbeiter und ihrer Familien. (Leo Szemeliker, DER STANDARD, Printausgabe 10.10.2002)