Begeisterte das Publikum durch darstellerische und sängerische Präsenz: Jessye Norman in Paris.

Foto: châtelet
Im Pariser Châtelet fand Jessye Norman unter André Hellers Regie mit "Erwartung" und "La Voix Humaine" zu sängerischer und dastellerischer Höchstleistung. Ausgebootet wurden des Regisseurs "Rivalen", Dirigent David Robertson und das Orchestre National De Lyon.

Paris - Am Samstagabend erlebte man im Pariser Châtelet gleich drei ineinander verflochtene Liebesgeschichten, die - weil es sich um Dreierbeziehungen handelt - zur Tragik prädestiniert sind. Arnold Schönbergs Monodrama Erwartung, gefolgt von Francis Poulencs La Voix Humaine und das Beziehungsgeflecht von Sängerin, Dirigent und Regisseur.

Die beiden Kurzopern haben einen gemeinsamen Nenner: Eine von ihrem Liebhaber verlassene Frau durchlebt Stadien der Demut, des Wahnsinns, der Selbstvernichtung. Die Primadonna Jessye Norman und Dirigent David Robertson planten seit 1995, die beiden lyrischen Kurzwerke an einem Abend aufzuführen. Als die Sopranistin dann voriges Jahr mit André Heller an einer Fernsehproduktion arbeitete, erlag sie dem Wiener Charme und schlug Heller vor, der Dritte im Opern-Bunde zu werden.

Nun sind aber für André Heller künstlerische Produktionen immer "Liebesbeziehungen", - also setzte er einerseits seine Ausstrahlung so resolut ein, dass er - im konkreten Falle - Jessye Norman zu einer außergewöhnlichen darstellerischen Leistung stimulierte. Gleichzeitig aber katapultierte er den "Rivalen", Dirigent David Robertson, in die unterirdischen Gefilde des Orchestergrabens, wo er mit seinem Orchestre National De Lyon nur noch eine - in jeder Hinsicht - untergeordnete Rolle spielte. Der Klangkörper des Lyoner symphonischen Orchesters ist so emotionsarm, schmalbrüstig und verflacht, dass man Robertson, der jahrelang mit Kompetenz und Begeisterung das von Pierre Boulez gegründete Ensembe Intercontemporain leitete, nur dafür beglückwünschen kann, dass er seinen Vertrag in Lyon per August 2003 auflöst.


Große Bühnenpräsenz

Jessye Normans Bühnenpräsenz magnetisiert also alleine die Gefühle der Zuschauer. In Erwartung versetzt Bühnenbildner Mimmo Paladino die Frau, die ihren Liebhaber sucht, der die Nächte bei einer anderen verbringt, in eine Art unterirdische Grotte, die von Albtraumfiguren bevölkert ist. Im Zentrum der Bühne steht ein Hexenhaus, das sich zum Schluss, als die Frau ihren Liebhaber in seinem Blut am Boden liegend findet, öffnet und den Blick freigibt auf eine Art griechisch-ägyptischen, schwebenden Triumphwagen.

Für Poulencs lyrische Tragödie in einem Akt, La Voix humaine, durchlebt Jessye Norman Verzweiflung, Glückseligkeit und Vergiftung. In einem variablen Lichtdekor (erzeugt durch einen Film, vielleicht um sich von Robert Wilson abzuheben, der im Vorjahr Jessye Norman im Châtelet in Schuberts Winterreise in Szene setzte) geht sie, mit einem rosarot gefütterten, schokoladebraunen, langen Mantel bekleidet (Kostüme: Annette Beaufaÿs), während ihres Telefongespräches mit dem ehemaligen Lebensabschnittspartner hin und her, um den Hörer im letzten Glücksmoment als Liebhaber-Ersatz zart zu liebkosen. Stimmlich und darstellerisch möchte man die grosse Jessye öfter in solcher Glückseligkeitsstimmung erleben.

Das Publikum, darunter Exminister Rudolf Scholten, Hans Landesmann, Georg Springer, sowie die (von André Heller eingebrachten) Mäzene der Deutschen Bank, feierte die Diva mit Ovationen. (DER STANDARD, Printausgabe, 7.10.2002)