Konzernschef: Umberto Angeloni

Foto: Brioni
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Der römische Nobelschneider Brioni distanziert sich von der "Masse" der übrigen Luxuswarenhersteller Italiens. Nicht nur durch seine "handgemachte" Kollektion, wo von Kopf bis Fuß, vom Schnitt bis zum Knopfloch, vom klassischen Blazer bis zu den neuen Damenjacken alles per Hand gefertigt wird. Auch in der Umsatz- und Gewinnentwicklung ist Konzernchef Umberto Angeloni der Konkurrenz voraus. Denn im ersten halben Jahr ist der Umsatz des 1200 Beschäftigte zählenden Konzerns um weitere zwölf Prozent gewachsen, die Ertragsentwicklung, so Angeloni, habe mit dem Umsatz Schritt gehalten. Umberto Angeloni, der Wirtschaftswissenschaften lehrt und eine Enkeltochter des Gründers Nazareno Fonticioli geheiratet hat, gibt jedoch zu, dass die Zeiten schwieriger geworden sind. Das Umsatzplus sei geringer ausgefallen als die erwarteten 25 Prozent. Auch sei das Wachstum auf die Produktdiversifikation, auf die neue Damenkollektion zurückzuführen. Diese macht zur Zeit erst einen Bruchteil des Umsatzes aus, soll aber, wenn das Konzept voll zum Tragen kommt, bis zu bis zu 50 Prozent bestreiten. "Damenmode wächst wesentlich rasanter als Herrenmode", kommentiert der Wirtschaftsprofessor seine neue Strategie. Er ist davon überzeugt, dass es für höchste Qualität keine Konjunkturkrise gibt. Abgesehen von der Damenmode soll die Kollektion auch um Accessoires, Damenschuhe und Taschen erweitert werden. Die ersten Handtaschen aus Wasserbüffelleder wurden bereits in diesen Tagen vorgestellt. Im Vergleich zu Bulgari, der Gucci Group und Prada, wo sinkende Umsätze und Gewinne die Geschäftsentwicklung charakterisierten, schneidet Brioni heuer noch günstig ab. "Handwerkliche Qualität ist ein Trumpf", meint Angeloni. Brionis Damenkollektion ist kompromisslos klassisch und von einer gewissen 20er-Jahre-Nostalgie geprägt. Wer die neue Brioni-Nobelboutique in der Via Gesu, einer Seitenstraße der Via Montenapoleone in Mailand, betritt, spürt sofort das für Brioni typische Flair von Internationalität und Noblesse: Perserteppiche, goldene Käfige mit bunten Kanarienvögeln und dazu die neuen Kleider. Die Kundin ist hier noch Königin, die Beratung auf den individuellen Geschmack zugeschnitten, die Bedienung freundlich, aber nicht aufdringlich. Schließlich zählen nicht nur der deutsche Bundeskanzler und der UNO-Generalsekretär, sondern auch dessen Gattin oder etwa die deutsche Verlegerin Friede Springer zu den Stammkunden. Ähnliche Einkaufstempel wie in Mailand gibt es auch in New York und Paris. In London wird noch heuer eine Brioni-Damenboutique eröffnet. Eine Unzahl von Details, etwa Kaschmirfutter bei den neuen Jacken oder lederverbrämte Knopflöcher, heben die Kollektion von gängiger Luxusbekleidung ab. Nicht nur die Qualität der verwendeten Stoffe, von feinstem Leinen bis zu Georgette und Seidenjersey, auch die meisterhafte Verarbeitung rechtfertigen die ebenfalls herausragenden Preise. Jacken, Röcke und Hosen werden zum größten Teil aufwändig per Hand gefertigt. Bis zu 180 Arbeitsschritte sind für ein Stück, vom Zuschnitt bis zu den Knopflöcher, nötig. Inspiriert wurde Fabio Piras, der für die neue 250 Stück zählende Kollektion verantwortlich ist und bei Tod's sein Handwerk lernte, vom Reisen. "Ohne zu reisen, zumindest ohne virtuelles Reisen, ist es heute schwer zu überleben," sagt er. Die neuen Brioni-Farben sind neutral: Altrosa und Beige, rauchiges Grün, viel Weiß und blasse Gelbtöne. Die gegenwärtige Umbruchstimmung kam auch auf den Mailänder Laufstegen deutlich zum Ausdruck. Sie wurde durch die bewusst farbigen, zum Teil auch grellen Shows, die Optimismus demonstrieren sollten, nicht kaschiert. Stimmungstöter war nicht nur der teure Euro. Die Sorgen wegen eines Kriegs im Irak, die unsichere Weltkonjunktur, aber auch eine gewisse Überalterung lasten auf der italienischen Modebranche. Der Präsident der Camera Nazionale della Moda und Vorstandsvorsitzende des Textilunternehmens Boselli, Mario Boselli, sagte es klipp und klar: "In den 43 Jahren meiner Tätigkeit habe ich noch keine derart schlechte Zeit wie diese erlebt." Die Sorgen sind berechtigt. Nur wenige Branchen hängen derart von der makroökonomischen Entwicklung ab wie die Luxusgüterindustrie. Ein Krieg im Irak würde negative Auswirkungen auf die Reiseaktivitäten haben. Schließlich hängt die Ertragsentwicklung zum großen Teil von Reisenden, allen voran von den markenverrückten Japanern ab. Das Dilemma der italienischen Mode ist zum Teil aber auch hausgemacht. Denn die "Alten" der Branche haben keine Nachfolger. Giorgio Armani ist 68 Jahre, Gianfranco Ferré 58 und die beiden "Youngsters" der Mailänder Designerszene, Domenico Dolce und Stefano Gabbana, haben ebenfalls bereits das Alter von 40 Jahren überschritten. Und Robert Cavalli, der zur Zeit in der lombardischen Hauptstadt einen neuerlichen Höhenflug erlebt, ist über 60. Bleibt die Frage, ob die Macht der "großen Alten" oder ein Mangel an Dynamik die dringende Erneuerung in der Mailänder Modeszene bremst. (derStandard/rondo/Thesy Kness-Bastaroli/4/10/02)