Kruger: I Shop therefore I am, 1987 (Ausschnitt)

Foto: Schirn

Sylvie Fleury steuert das passende Einkaufswagerl zum heilsversprechenden Shoppingerlebnis bei:
golden, wie die Kreditkarte

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Man Ray: Mannequin von André Masson, 1938

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Claes Oldenburg: Lingerie Counter, 1962

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Andreas Gursky: 99 Cent, 1999 (SEHR schmaler Ausschnitt)

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Jeff Koons: New Hoover Deluxe, Quik-Broom, 1999

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Max Hollein inszeniert in der Frankfurter Schirn das Museum der Zukunft: einen Shopping-Tempel für schöne Künste. Er bekennt sich dazu, dass früher oder später ohnehin jede subversive Absicht dem Konsumverhalten anheimfällt. Frankfurt am Main - In der Galeria Kaufhof werden Armani, Boss oder Versace trickreich feilgeboten. Deren weit ausgebreitete Arme heißen in Frankfurt "Zeil", sind ansonsten aber von denselben typischen Symptomen der Hautkrankeit aller anderen, ursprünglich ja deutschen, Fußgängerzonen gezeichnet: Akkurat geschnittene Schuppen der Granitflechte, maligne wuchernde Buden fettvoller Ausdünstung, ekelerregende Kandelaber, unmotiviert aufbrechende Pusteln auswurfgrüner Bodendecker, massenhafter Befall durch blindwütende, in konvulsischen Eruptionen aus dem Subkutanen hervorbrechende Allesfresser, parasitäre Vertreter revolutionärer Gemüsehobeln. Die Schirn Kunsthalle wirbt mit den Marken Joseph Beuys, Jeff Koons und Andy Warhol. Da es außer dem Frühschoppen kaum etwas gibt, das gegen das Shoppen spricht, blieb auch die Künstlerschaft dieser einzigen, staatlich gebotenen Leidenschaft gegenüber aufgeschlossen. Boris Groys schreibt im Katalog zum - noch zeitlich begrenzten - Dasein der Schirn als Kaufhof-Filiale: "So gilt heute nicht die Produktion, sondern der Konsum als erste Bürgerpflicht." Shopping ist demgemäß eine Frage der Moral. Das individuelle Bedürfnis hat hinter das Gemeinwohl zurückzutreten. Den Wegfall der Geborgenheit im Zustand gedeckten Bedarfs kompensiert das Versprechen kollektiven Glücks im Rausch. Um dem Einzelnen die Pflichterfüllung zu erleichtern, wurde die Werbung erfunden. Sie deutet den Konsum als individuell gesetzten Akt, Glück als Geborgenheit in der Marke. Der Weg zur Glückseligkeit, früher oft auf Knien hinter sich gebracht, wird heute flanierend zurückgelegt.

Schirn-Flaniermeile

Den über die Maßen längsgedehnten Korridor, den die Schirn in den Frankfurter Römer schneidet, hat Direktor Max Hollein nun in Guggenheimscher Konsequenz zur Flaniermeile ausgebaut. Das bedeutet einerseits Boutiquen, andererseits Schaufenster. Den Servicecharakter der Mall zu unterstreichen, entlehnte er Damien Hirsts Pharmacy von der Londoner Tate Gallery. In der Apotheke kann, wem Shopping allen Heilsversprechen zum Trotz, immer noch Kopfzerbrechen bereitet, jeder bei legalen Drogen ins volle Regal greifen oder einfach nur für den Abrechnungskater vorsorgen. Weil, wie Barbara Kruger vor gut 20 Jahren schon plakatiert hat: "I shop therefore I am." Den Turkey beim Kreditkartenentzug überlebt kaum einer. Es sei denn als olfaktorisch auffälliger Schatten im öffentlichen Raum, als Staatsfeind.

Barbara Kruger wurde längst von der Wirklichkeit überholt. Ihre annähernd Kaufhof-verhüllenden kritischen Plakate ernüchtern heute keinen mehr. Und auch andere Prominente der Vorhut im Kampf um ein Bewusstsein wider die Kapitalflut mussten zusehen, wie die Zeit rasch an ihnen vorbeigeeilt ist.

Joseph Beuys' Wirtschaftswerte haben durch Deutschlands Wiedervereinigung an Aktualität verloren, durch ihren wiederholten Einsatz als Beleg deutscher Wertarbeit jegliche Brisanz. Aus Fettbergen und DDR-Produkten wurde ranzige Markenbutter. Guillaume Bijl hat originellerweise einen kompletten Supermarkt der Tengelmann AG in der Schirn aufbauen lassen. Im Gegensatz zum (rekonstruierten) American Supermarket , den 1964 Richard Artschwager, Jasper Johns und Andy Warhol mit Kunstgütern ausstatteten, sind bei ihm die Konsumgüter echt, müssen die Bild , die Mettwurst und die Tiefkühlpizza täglich gegen Frischware ersetzt werden. Zugreifen dürfen die Schirn-Besucher nicht, das würde auch noch den letzten Rest an Verstörung tilgen, die derart monströse Readymade-Schlachten eventuell noch auszulösen imstande sind - zumindest beim erhofften neuen Publikum, das nach der Zeil durch die Schirn flanieren soll. An der Perfektion der Inszenierung der Schau gibt es nichts zu rütteln. Sie gleicht der Werbelinie für das andere Shoppingerlebnis, die von Saatchi & Saatchi entwickelt wurde. Auch das Aufgebot an Heiligtümern aus der Produktion ist kaum zu überbieten: Claes Oldenburgs Lingery Counter, Vintage-Prints von Abbott und Atget, Christos Four Store Fronts Corner, Jeff Koons Hoover-Staubsauger-Kollektion in feinsten Acrylvitrinen, Andreas Gurskys Prada-Serie und auch sein aktuelles 99 Cent -Diptychon. Alles Feinkost. Und dennoch kaum mehr auseinander zu halten. Alles Individuelle verliert sich im Glanz der Inszenierung. Mitten drin hat Maurizio Cattelan einen Einkaufswagen aufgestellt. Der sieht aus wie üblich, außer dass er länger ist - weit länger, mit Platz für auch noch das letztmögliche Produkt. Vielleicht repräsentiert er ja den Kulturraum aller Kommunen und ihrer Vollstrecker: ausverkaufte Ausstellungen. Perfide inszenierte Kunstinstallationen, die nach der geladenen Eröffnung leer geshoppt sind. Dann wären Museen nicht mehr so lästig. Sie würden sich endlich selbst tragen. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.10.2002)