Wien - Die Toten sind "mit großer Behutsamkeit und Pietät" ins Grab gelegt worden. Geschlichtet, "wie um den Platz in der Grube gut ausnützen zu wollen", mit über der Brust gefalteten Händen. Alles weitere ist für Stadtarchäologin Elfriede Hannelore Huber aber rätselhaft: Warum die mutmaßlichen Seuchenopfer ausgerechnet im Schottenstift und damit innerhalb der alten Stadtmauern bestattet wurden. Es seien früher zwar Massengräber nach Seuchenepidemien angelegt worden - aber immer am Rande der Städte. Bisher haben Elfriede Huber und die Stiftsbenediktiner nicht einmal einen Hinweis auf die Existenz des Grabes in Archiven entdecken können. Ebenfalls mysteriös, weil die Historie des Schottenstifts, das Gebäude besteht seit 1155, sehr gut gut dokumentiert ist. Der Fund eines der bisher größten Seuchengräber auf Wiener Boden ist bei Sanierungsarbeiten im Schottenstift aufgetaucht. Die Benediktinermönche lassen derzeit Mauern trocken- und Leitungen verlegen. Nun sind diese Arbeiten an jener Stelle für ein paar Wochen unterbrochen, damit die Stadtarchäologen den außergewöhnlichen Fund dokumentieren und skizzieren können. 101 Tote gezählt In der Grube rund um den Hof 2 werden nun haufenweise Knochen freigelegt. 101 Tote sind bereits gezählt, Huber rechnet mit "dreimal so vielen", die da schichtenweise knapp unter der Erdoberfläche, aber bis in eine Tiefe von zweieinhalb Metern übereinander liegen. Wahrscheinlich zieht sich das Grab bis weit in den Hof hinein. Die Datierung des Grabes könne auf Ende 15. oder Anfang 16. Jahrhundert eingegrenzt werden. Edeltraud Aspöck und Verena Haunschmid graben viele Details aus, die dies belegen: Knöpfe von Kleidern oder kleine Kreuze an Rosenkränzen. Haunschmid deutet auf eine rostbraune Masse neben ein paar Rippen: Überreste eines Messers. Ebenfalls ungewöhnlich, findet Grabungsleiterin Huber, dass bereits vier Stück in den Gräbern von Menschen gefunden wurden, die vermutlich an Diphterie oder einem Virus starben. Nur noch diese Woche kann man die Arbeiten im Schottenhof beobachten. Dann werden die Funde ins Naturhistorische Museum gebracht, die Grube zugeschüttet. (aw/DER STANDARD, 1.10.2002)