Hermes, nicht der dicke Depressive, sondern der andere, der von dem es heißt, er trüge sogar im FM4-Studio Smoking und weiße Handschuhe, hatte es vorhergesagt. "Gesang", hatte er Homer Simpson zitiert, "ist die niedrigste Kommunikationsform." Und da hatten weder Homer noch Hermes die kleinste Ahnung von dem, was folgen sollte.

Es war Samstag und im sonst wundervollen Gasthaus Vorstadt in Ottakring. "Komm sing mit" war auf der Einladung gestanden, Hermes war Moderator. Ansonsten, erklärte Vorstadt-Wirtin Hannah N., tappe sie im Dunkeln, was da passieren würde.

Es wurde gesungen. Karaoke. Und eigentlich hätte das lustig werden können. Der Herr von FM4 bürgt ja dafür, Seltsamem einen Dreh zur feinen Skurrilität zu geben. Nur: Dass der Veranstalter - ein Verein, der sich "Vereinte Stimmen" oder so ähnlich nannte - eine vereinsinterne Geburtstagsfeier abhielt, bei der nichtsahnende Unbeteiligte (für neun Euro Eintritt) beisitzen aber kaum teilhaben konnten, hatten weder Hermes noch die Wirtin geahnt

So saß denn der Moderator mit betropetztem Gesicht (manchmal sah es aus, als würde er gleich weinen) stumm auf der Bühne: Der Karaoke-Tontechniker machte sein Mikrofon nie auf und moderierte selbst. In feinster Bierzeltmanier ("Ja, der Karli hat da wirklich Stimmung gemacht!"). Das nicht den "Vereinten Stimmen" angehörende Publikum fühlte sich geneppt - und war peinlich berührt.

Volksbildung

Dabei war der Abend in Wirklichkeit Volksbildung. Denn im Grunde fand hier eine öffentlich zugängliche Kaderschulung statt: Einige der "Vereinten" kennt man in Ottakring und Umgebung aus dem Umfeld diverser SP-(Vorfeld)-Organisationen. Und bei Schülerzeitungsseminaren, die ich früher für diverse Parteijugendorganisationen abgehalten habe, habe ich mich immer gewundert, wieso bei angeblich halbwegs kultivierten Menschen tatsächlich Karaoke-Abende einen fixen Teil der Abendgestaltung darstellen.

Es waren - wie immer - A. und P. (die ich voll Hoffnung auf einen lustigen Abend mitgeschleppt hatte), die die Fäden zusammenführten: In Fernost stellen sich junge Führungskräfte an Straßenecken um das Lied ihrer Firma zu singen. Als Akt gelebter Unterwerfung und Loyalität. Auch Karaoke ist ein Initiationsritual: Wer sich derart bloß stellt, beweist Zugehörigkeit - und liefert sich aus. Außerdem härtet es ab: Als Aktiver erlebt man, dass es egal ist, was man sagt oder tut - man muss es bloß mit Überzeugung von der eigenen Strahlkraft tun. Und als Zuhörer lernt man, dass man alles, wirklich alles durchsitzen kann, wenn das Fell dick genug ist. Karaoke-Abende wie der in der Vorstadt, erklärten A. und P., wären demnach ein logischer Schritt zur Aufzucht der Politiker von morgen.

Kanzlerklang

Den Wahrheitsbeweis dafür erbrachte dann Herr Hermes, als er sich irgendwann (kurz) gegen das vereinte Grölen durchsetzen konnte. Hermes zeigte ein Video: Wolfgang Schüssel, Wilhelm Molterer und Elisabeth Gehrer bei der denkwürdigen Präsentation des legendären ÖVP-Liederbuches am Hanslteich. Wenige Wochen vor der letzten Nationalratswahl. Singend. Ungeniert und ungeschnitten. Hardcore. Historisch (Nebenbei: aus den Maschek-Archiven). Ein Lehrstück des Grauens: Wer sich selbst mit so wenig Substanz aber noch weniger Selbstachtung in die Auslage stellt und das dann auch noch anderen zumutet, ist wahrlich selbstherrlich und egoistisch genug, nach höchsten Ämtern und Würden zu greifen. Unabhängig von Ideologie.

Hermes saß auf der Bühne und seufzte. Homer Simpson hat recht. Dann wurde wieder gesungen.

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