Wien - Die Grünen bezeichnen den von Verkehrsminister
Mathias Reichhold (F) behaupteten "Durchbruch" im Transitstreit mit
Italien als "Wahlkampfschmäh" und als "Wahlkampflüge". Die
stellvertretende Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig,
verwies am Freitag in einer Pressekonferenz darauf, dass Reichhold
mit seinen Aussagen "in krassem Widerspruch" zum italienischen
Verkehrsminister Pietro Lunardi stehe. Dieser habe erklärt, dass die
Ökopunkteregelung nicht weiter geführt werde. "Irgendwer sagt hier
die glatte Unwahrheit."
Auch die Zusage Reichholds, den Brennerbasistunnel bis 2011 fertig
zu stellen, ist für Glawischnig eine "absurde Phantasie". Selbst wenn
alle Zusagen halten würden, könnte frühestens 2007 mit dem Bau
begonnen werden. Die Bauzeit betrage aber acht Jahre. Deshalb
entbehrten die Aussagen Reichholds jeglicher Sachkenntnis.
SP-Kritik
Erneute Kritik kam auch von der SPÖ. Der ehemalige Verkehrsminister und nun SP-Europasprecher Caspar Einem meinte, "in Wahrheit liegt Österreich in
dieser Frage jetzt hinter der Position, die vor mehr als einem Jahr
bereits gegeben war." Die "angebliche" Einigung sei eine "Luftblase", erklärte er in einer Aussendung.
Reichhold beharrt auf seinem Erfolg
Verkehrsminister
Reichhold wiederum bleibt dabei: Die Verhandlungen in Rom mit seinem
Amtskollegen Pietro Lunardi waren seiner Ansicht nach ein Erfolg.
Italien bekenne sich dazu, dass auf der Ebene der EU-Verkehrsminister
nach Auslaufen des Ökopunktesystems eine Übergangsregelung bis zum
In-Kraft-Treten einer neuen EU-Wegekostenrichtlinie - längstens aber
bis Ende 2006 - beschlossen werde.
Namensänderung als Vorschlag zur Güte
Von einer Verlängerung des Ökopunktesystems wolle man nur aus
Rücksicht auf Lunardi nicht sprechen. Auch das Wort Ökopunkte wolle
man nicht verwenden, stattdessen werde man möglicherweise vom
"Umweltbonus" sprechen. Das System bleibe aber das gleiche, das
Kontingent werde auf dem Niveau von 2003 mit 9,5 Millionen Ökopunkten
(rund 1,7 Millionen Fahrten) eingefroren, beteuerte Reichhold vor
Journalisten.
"Ich bitte um Verständnis, dass Lunardi riesige Probleme hat, vor
seine Frächter hinzutreten und zu erklären: Alles bleibt, wie es ist.
Ich anerkenne, dass Lunardi die Ökopunkte nicht mehr in seinem
Sprachgebrauch haben will", meinte Reichhold. Daher rede man nun
nicht mehr von einer Verlängerung, sondern "von einer
Übergangslösung, die auf der Grundlage eines Ökopunktesystems
stattfindet".
Zustimmung der übrigen Länder offen
Offen bleibt allerdings, ob nach Italien auch die anderen
EU-Staaten einer Übergangsregelung zustimmen werden. Vor allem
Deutschland hat sich zuletzt gegen eine Verlängerung des
Ökopunktesystems ausgesprochen hatte und Ausnahmeregeln für grenznahe
Korridore verlangt. Reichhold betonte am Donnerstag erneut, dass für
Österreich nach wie vor nur eine bundesweite Übergangsregelung in
Frage komme. Ziel sei es dennoch am 11. November bei Gesprächen in
Wien zu einer politischen Einigung mit Deutschland zu kommen.
Auch die Beitrittskandidaten müssen der Übergangslösung zustimmen.
Die Vereinbarungen würden als bestehendes EU-Recht übernommen werden.
Der Verkehrsminister erinnerte dabei an den Beschluss des EU-Rates in
Laeken von Ende des Vorjahres, dass eine Übergangslösung gefunden
werden solle, "damit das Kapitel "Verkehr" im Rahmen der
Beitrittsverhandlungen noch vor Jahresende abgeschlossen werden
kann". Eine Veto-Drohung will er darin aber nicht sehen. Im Dezember
- noch vor Abschluss der Beitrittsverhandlungen - solle die
Übergangsregelung beschlossen werden, so Reichhold.
108 Prozent-Klausel fällt
Fallen wird mit der Übergangslösung im Transit - das ist bereits
sicher - die 108 Prozent-Klausel, nach der die absolute Zahl der
Lkw-Fahrten 1,61 Millionen nicht überschreiten darf. Außerdem hat
Österreich Italien zugesagt, über eine Adaptierung der Verordnung in
puncto Zählweise, Stichfahrten und in einzelnen Definitionen zu
verhandeln.
Konkret geht es um Fahrten, für die keine Ausreiseinformation
vorliegt, wo der Lkw also länger als 48 Stunden in Österreich blieb
(91.250), Fahrten, wo Ein- und Ausreise über dieselbe Grenzstation
erfolgten (49.500), Fahrten, wo Ein- und Ausreise in denselben
Mitgliedstaat erfolgten (11.374) und Fahrten auf der Rollenden
Landstraße (10.764). Für die EU-Kommission, Deutschland und Italien
sind das keine Transitfahrten, für Österreich schon. Österreich hat
deshalb bereits zwei Mal vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)
geklagt. Nun soll auf Beamtenebene über die künftige Behandlung
dieser Fahrten verhandelt werden.
Memorandum über Brenner- Basistunnel geplant
Am 2. Oktober soll außerdem ein Memorandum unterschrieben werden,
in dem sich Österreich laut Reichhold "zum Bau des
Brenner-Basistunnels verpflichtet". Konkret sichert Österreich aber
nur zu, dass die Planung und Projektierung gestartet wird und Italien
und Österreich in einer gemeinsamen Gesellschaft Finanzierungsmodelle
erarbeiten.
Unklar sind auch noch die Gesamtkosten für den
Brenner-Basistunnel. Die Planungskosten sind mit 270 bis 400 Mill.
Euro veranschlagt - getragen zu 50 Prozent von der EU, den Rest
zahlen Österreich und Italien. Wer die Kosten für den Bau tragen
wird, Österreich schätzt sie auf rund 3,63 bis 4,36 Mrd. Euro, ist
noch unklar. Von der EU erwarte man eine Beteiligung bis zu 20
Prozent. Außerdem sollen Public-Privat-Partnership-Modelle geprüft
werden. Österreich hofft damit, dass das Projekt über die nächsten 40
bis 50 Jahre finanziert werden kann.
Höhere Straßenmauten sollen Bahnausbau finanzieren
Als wesentliches Mittel zur Finanzierung des
Brenner-Basistunnels hofft Verkehrsminister Reichhold auf
höhere Straßenmauten, "bei denen auch die externen Kosten
internalisiert werden". Dabei setze man im Rahmen der geplanten neuen
EU-Wegekostenrichtlinie vor allem auf die Schaffung von sensiblen
Zonen, in denen dann Sondermauten eingehoben werden könnten, erklärte
Reichhold am Freitag vor Journalisten. Der amtierende
Verkehrsminister hofft sogar darauf, dass nicht nur der Alpenraum,
sondern auch Siedlungszentren als sensible Zone anerkannt würden.(APA/red)