Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/ Bernhard J. Holzner
S tets bereit, seinen Lesern sofort zu vermelden, wenn sich in unserem kleinen Lande jemand zu weltpolitischer Größe emporreckt, hat DER S TANDARD gestern das eben erschienene Buch von Außenministerin Benita Ferrero-Waldner "Kurs setzen in einer veränderten Welt" vorgestellt. Zu kurz, hier daher eine leicht vertiefende Würdigung.

Es handelt sich um einen Mix von Autobiografie - eine Kandidatin für die Hofburg will sich dem Volk vorstellen, solange sie noch Ministerin, also halbwegs unvergessen ist - und weltpolitischen Betrachtungen, die mit einem Paukenschlag einsetzen in Damaskus. Eine der ältesten fortdauernd besiedelten Städte der Welt. Ich betrat den Innenhof der altehrwürdigen Omayyaden-Moschee. Mein Führer, ein hochrangiger islamischer Geistlicher, und meine Delegationsmitglieder versuchten abwechselnd, meine Aufmerksamkeit zu erringen. Für ein paar Minuten, oder waren es nur Sekunden, gelang es mir, sie alle auszublenden. Den Ausgeblendeten fehlte der Sinn für die historische Bedeutung des Augenblicks: Ich brauchte einen klaren Kopf.

Es war nämlich so: Die jahrhundertealte Stille und die erhabene Größe der Moschee, überragt von ihrem zierlichen Minarett, das sich in den tiefblauen Oktoberhimmel streckte, veranlassten mich, abzuschalten. Komplett. Aber nicht für lange, denn schon drängt sich ein anderer Gesprächspartner vor. Da stand dieser kleine Orangenbaum am Rande des Innenhofs . . . Die Orange. Ihr Anblick fesselte mich. Ohne sie pflücken, schälen und genießen zu können, fühlte ich mich von ihr angesprochen.

Jetzt nicht ausblenden! Die Symbolik der Zitrusfrucht, die für Kraft steht, lenkte meine Gedanken auf meine Aufgabe. Ich wusste, dass ich in einer schwierigen, weltpolitischen Situation Kraft benötigen würde. Ich hatte die Tragweite des Weltgeschehens und die Verantwortung, meinen Teil zur Bewältigung der Krise zu leisten, klar vor Augen.

Der Augenblick dieses Orangenwunders verdient exakt festgehalten zu werden. Es war der 24. September, nicht einmal zwei Wochen nach den Anschlägen. Nicht auszudenken, wie die Bewältigung der Krise verlaufen wäre, hätte sich an diesem 24. September statt eines Orangenbaums eine Dattelpalme in den tiefblauen Oktoberhimmel gestreckt. So aber ward die Tragweite des Weltgeschehens klar erfasst: Die Inhalte der Außenpolitik bleiben nicht für alle Zeiten dieselben. Fix hingegen ist: Die Welt ist durch die moderne Technologie so zusammengewachsen, dass die entlegensten Teile nur durch einen Mausklick von einander entfernt sind.

Und dann das Kapitel: Das Lächeln, das ich meine. Endlich - was damit gemeint ist, wollte man schon immer wissen. Die Zeiten, da man auf der internationalen Bühne mit Starrsinn und einem "Pokerface" beeindrucken konnte, sind lange vorbei. Da schon eher mit Starrface und Pokersinn. Wenn man sicher in seiner eigenen Weltanschauung ist und weiß, was man in der Politik erreichen will, dann kann man es sich auch leisten, ein wenig großzügig zu sein und an die Dinge mit dem nötigen Maß an Selbstsicherheit und einem freundlichen Lächeln heranzugehen. Das ist das Lächeln, das ich meine. Denn wer zuletzt lächelt, hat sich durchgesetzt.

Die Amerikaner werden sich nie gegen Saddam durchsetzen, so wenig, wie die lächeln. Denen fehlt eben das nötige Maß an Selbstsicherheit. Kein Wunder, spüren sie doch, dass sie auf der internationalen Bühne nichts mehr zu lachen haben, denn so wie unsere Außenministerin lächelt, hat sich Österreich als führende Supermacht heimlich längst durchgesetzt. Aber Obacht! Dennoch läuft die Politik immer wieder Gefahr, nicht mehr den Diskurs, der in der Sache selbst durchaus hart sein darf, zu suchen, sondern lieber schrill und untergriffig oder aber beliebig und blutleer zu werden. Und keiner tut was, um das abzustellen!

Endgültig wird das Rätsel dieses geheimnisvollen Lächelns im Kapitel Zahnweh in Oberndorf gelöst: Es ist genetisch bedingt. Wenn man in Oberndorf Zahnweh hatte, ging man zu meinem Vater. Er war Dentist, und so etwas will vorgezeigt sein. Eigentlich gehe ich noch immer ganz gerne zum Zahnarzt, obwohl ich eine "anspruchsvolle Patientin" bin. Was sich nicht nur am Lächeln ablesen lässt, sondern auch so äußert: In dem Moment, da ich in der Ordination Platz nehme, schalte ich ab und ergebe mich in Kindheitserinnerungen. Mit oder ohne Lokalanästhesie. Immer noch besser, als man ergibt sich der Außenpolitik in Vollnarkose.

Weltpolitisch bedeutungsvoll war ferner die diplomatische Einladung an sie, bei der Rangerhöhung Oberndorfs im Jahr 2000, als ehemaliges Kind der nunmehr frisch gebackenen Stadt Grußworte zu sprechen. Ob mit oder ohne Lokalanästhesie der frisch gebackenen Städter, bleibt offen, es könnten also einige geglaubt haben, dass Frau Ferrero ihre Grußworte nicht so sehr als ehemaliges Kind, sondern ein wenig auch als damalige Außenministerin gesprochen hat.

Das ehemalige Kind kommt stärker in Frau Ferreros Überlegungen zur Kinderhaltung zum Vorschein. Halten wir uns vor Augen, dass wir Erwachsene uns in Wiener Restaurants und Gasthöfen gerne oft bis lange nach Mitternacht in Schanigärten des Lebens erfreuen dürfen, was nicht immer ganz leise abgeht, während es unseren Kindern nicht einmal erlaubt ist, am hellen Nachmittag im Hof unseres Hauses Ball zu spielen.

Der Zusammenhang liegt auf der Hand. Den Kindern wäre sicher geholfen, dürften sie sich in Wiener Restaurants und Gasthöfen oft bis lange nach Mitternacht in Schanigärten des Lebens erfreuen, wenn dafür nur wir Erwachsene am hellen Nachmittag im Hof unseres Hauses Ball spielen dürfen. Sollte diese Schärfe der Analyse auch Österreichs Außenpolitik würzen, dann hilft nur eines: Lächeln, Lächeln, Lächeln.

Soll Fortsetzung folgen? (DER STANDARD, Printausgabe, 27.9.2002)