Pinakothek
Pinakothek
Oben, in den hellen Etagen, dort, wo sich das natürliche Licht mit dem Geistesblitz des Künstlers im Werk vereint, dort oben entsteht in Ateliers die freie, die hohe, die einmalige Kunst. Unten hingegen, in den niederen Werkhallen, dort, wo effiziente Neonbeleuchtung der Produktion den Zwecken materieller Wertschöpfung dienlich ist, wird Alltag seriell gefertigt: Design. Und bodenständig, stets die gebaute Utopie mit leuchtendem Blick erfasst, nistet sich die Architektur im Erdgeschoss ein.

Diese Grenzen zwischen frei und angewandt, zwischen kulturell und kommerziell - sie werden, unter der Leitung des Generaldirektors Reinhold Baumstark, in der gerade eröffneten Pinakothek der Moderne in München eifrig gepflegt und konserviert. Vier Sammlungen teilen sich das von Stephan Braunfels entworfenen Gebäude: Kunst, Grafik, Architektur und Design werden auf über 12.000 Quadratmetern gezeigt. Und zwar in einem Gebäude, das von Provinzfürsten und Mitgliedern der Münchner Gesellschaft, insbesondere der Politik, renitent bekämpft und sabotiert wurde - das aber, gestützt durch private Spenden, gegen alle Widerstände nun doch zum Besuch der süddeutschen Metropole lädt.

Die Schätze sammlerischer Leidenschaft sind erstmals seit der offiziellen Gründung der Sammlung im Jahre 1925 nun endlich in einer Dauerausstellung zu bewundern. Eine winzige Auswahl wird gezeigt. Denn mit über 50.000 Objekten füllt die weltweit größte Sammlung industrieller Kulturproduktion inzwischen kilometerlange Regale, verteilt in mehreren Depots in ganz Bayern. Während sich die Objekte in diesen Lagern eng stapeln, haben einige auserwählte ihren Platz in einem gigantischen Setzkasten jetzt im Museum gefunden: Die Stiege hinabsteigend erblickt das Auge Highlights der Sammlung wie den bei Vitra produzierten Stuhl Tom Vac, entworfen von Ron Arad, oder Geräte aus dem Hause Braun. Und über allem schwebt das Unvermeidbare: ein von Luigi Colani - wie immer - aerodynamisch und die Natur nachäffendes Ge- bilde, das der Schreihals des Designs als Überschallflugzeug gedeutet wissen will.

Unten angelangt, in einem wunderbaren, sich über zwei Etagen erstreckenden Raum, der sich mit seinen Fenstern zur alten Pinakothek hin öffnet und gleichsam wie ein Schaufenster um Besucher wirbt, lernt der Besucher die Euphorie der Stromlinie kennen. In schnittiger Dynamik kündet der Tantra 87, ein Automobil, entworfen von Hans Ledwinkas, von einem bald schon bevorstehenden Sieg der Geschwindigkeit. Weitere Autos wie der Porsche 911 oder die Citroen DS 19 sind in einem riesigen Regal untergebracht. Und etwas Einmaliges ereignet sich: Der Besucher darf mit eigenen Händen eine von BMW gestaltete Wand streicheln, darf die in Marmor gearbeiteten Linien mit Händen erfahren, was freilich im Rest der Ausstellung streng untersagt ist - wenngleich Florian Hufnagen, Leiter der Sammlung, anlässlich des Presserundgangs seine Schätze ohne Unterlass liebevoll streichelt. Nun aber, im ersten, von der Natürlichkeit des Tageslicht befreiten Raum, fällt der Blick auf Gegenwart und Zukunft gleichfalls, erspäht einen Schwerpunkt der Sammlung: Computer Culture. Wenig überraschende Ikonen des Designs verteilen sich friedlich auf Sockeln. Beispielsweise Rechner von Apple.

Frühere Modelle, entworfen von Hartmut Esslinger und seinem Team (frogdesign), stehen neben jüngeren Modellen, die der Feder des heutigen Apple-Designteams um Jonathan Ive entstammen. Aber mit Projektionen des Grafikers David Carson sowie solchen des virtuosen Grenzgängers John Maeda skizziert die Ausstellung die Uferlosigkeit des Designs, die Spannung zwischen produzierten Produkten und flüchtigem Schein digitaler Bildwelten. Hier markiert die Ausstellung so unaufdringlich wie einsichtig die Weite gestalteter Welt, nunmehr über den engen Rahmen bloßen Industriedesigns hinausreichend, fernab vom Kunsthandwerk. Indes: Jener umfängliche und vernetzte Ansatz wird nicht weiter verfolgt. In einer Reihung geordneter Geschichtspädagogik folgt eins aufs andere, streng chronologisch: ein Lehrpfad mit Themeninseln, bekannte Klassiker versammelnd. Was den Besucher etwa lehrt, dass ein Sideboard von Edward William Godwin schon 40 Jahre vor dem viel berühmteren Charles R. Mackintosh eine Form fand, die von Letzterem zu sein scheint, es aber nicht ist.

Immerhin: Peter Behrends Leistungen für die AEG werden anhand eines Teekessels gezeigt, der durch Variieren von Formen, Materialien und Oberflächenbearbeitung jene industrielle Vielfalt hervorbringt, die heute mit Plattformbauweise beschrieben wird. Aber die noch wesentlichere Leistung der AEG, das Corporate Design, vom visuellen Erscheinungsbild bis zur Architektur, bleibt unbeachtet. Desgleichen im Kellergewölbe unter der Rotunde, die den Sitzmöbeln der Gebrüder Thonet eine huldigende Heimstätte bietet. Insel für Insel begegnen sich wieder Themenfelder der Produktwelt, steht etwa die Ulmer Hochschule für Gestaltung dem italienischen Design der 60er-Jahre kontrastierend gegenüber.

Zum Schluss kommt allerdings Bewegung ins Spiel, verliert die Präsentation an biederer und musealer Ernsthaftigkeit: Zwei rotierende Konstruktionen befördern, gleich einem Paternoster, Produkte der Gegenwart auf und ab. Flaschen von Ross Lovegrove oder spezielle Sportschuhe erheben sich in die obere Etage, schnuppern Tageslicht, blinzeln rüber zur edlen Kunst, um dann wieder in die tiefen Ebenen ungeliebter Banalität zu verschwinden. Immer wieder. Ein heiteres Spiel, ganz ohne peinliches Pathos. (Knuth Hornbogen, Der Standard/rondo/27/09/02)