Irak
Experten sehen in britischem Irak-Dossier wenig Neues
"Starke Begründung für Waffeninspektionen, nicht für Krieg"
London/Washington - Die britische Regierung hat am
Dienstag ein Dossier über die Bedrohung durch irakische
Massenvernichtungswaffen vorgelegt, das nach Einschätzung von
Experten kaum neue Beweise enthält. Der Irak sei in der Lage,
bestimmte Massenvernichtungswaffen binnen 45 Minuten einsatzbereit zu
machen, schrieb Premierminister Tony Blair im Vorwort zu dem
50-seitigen Dossier. Die irakischen Waffen bedrohten die weltweite
Stabilität. Die USA sagten, Blairs Dossier untermauere die Vorwürfe
an den Irak und bestärke die Zweifel daran, dass das arabische Land
an Frieden interessiert sei. Der Irak wies die Vorwürfe zurück und
beschuldigte Blair der Panikmache. In Blairs Dossier werden Bemühungen des irakischen Präsidenten
Saddam Hussein dargestellt, chemische, biologische und atomare Waffen
entwickeln und herstellen zu lassen. Es sei dem Irak gelungen, 20
ballistische Raketen vor den Ende 1998 unterbrochenen
Waffeninspektoren der Vereinten Nationen zu verstecken. Auch habe das
Land seine Entwicklung von Raketen mit einer Reichweite von mehr als
1000 Kilometern beschleunigt, heißt es in dem Bericht. Der Irak habe
zudem versucht, sich aus Afrika große Mengen Uran zu besorgen. Eine
Atomwaffe könne das Land aber nicht herstellen, solange die
UNO-Sanktionen bestehen blieben.
Nichts Neues
Kritiker sagten, das Dossier liefere zwar eine starke Begründung
für Waffeninspektionen, nicht jedoch für einen Krieg. "Es steht
wirklich nichts Neues darin", sagte Major Charles Heyman von der
Militär-Fachzeitschrift "Jane's World Armies" über das Dossier. "Wir
erwarteten Beweise für einen Krieg und bekamen Beweise für
Waffeninspektionen."
Das bereits vor Monaten angekündigte Dokument soll Kritiker in
Blairs eigener Partei überzeugen. Einige Labour-Politiker lehnen vor
allem einen Krieg ohne UNO-Mandat ab und sehen sich darin mit der
Mehrheit der britischen Bevölkerung einig. Das Dossier sei ein
einseitiges und oberflächliches Dokument, sagte Labour-Abgeordneter
Alan Simpson. Es stünden viele Vermutungen und wenig Fakten darin.
US-Präsident George W. Bush hat auch ein militärisches Vorgehen
gegen den Irak im Alleingang nicht ausgeschlossen. Blair hat sich in
der Frage klar an die Seite Bushs gestellt. Bush sagte bei einer
Spenden-Veranstaltung in Washington, das Dossier sei ein
beängstigendes Portrait von Saddam und seinen "mörderischen Wegen".
Bei einer Sondersitzung des Unterhauses sagte Blair, eine
Militäraktion gegen den Irak sei nicht unausweichlich. Die Gründe,
eine Abrüstung des Iraks sicher zu stellen, seien jedoch zwingend.
"Neben der Diplomatie müssen ernst gemeinte Vorbereitungen und
Planungen stattfinden, um Maßnahmen ergreifen zu können, wenn die
Diplomatie fehlschlägt", sagte er.
Der Irak hat die Anschuldigungen zurückgewiesen, es besitze
Massenvernichtungswaffen. Ein Berater Saddams bekräftigte, die
UNO-Waffeninspektoren erhielten unbeschränkten Zugang im Irak und
könnten gehen, wohin sie wollten. Zum Dossier sagte der irakische
Außenminister Naji Sabri, statt Beweisen seien Übertreibungen und
Lügen vorgelegt worden.
Um der Forderung nach einer effektiven Abrüstung des Iraks
Nachdruck zu verleihen, streben die USA und Großbritannien eine neue,
schärfere Resolution des UNO-Sicherheitsrats an. Allerdings kann es
nach Angaben aus US-Regierungskreisen eine Woche oder länger dauern,
bis eine Resolution verabschiedet wird. Das irakische Angebot,
Waffeninspektoren ins Land zu lassen, habe in der Debatte um die
Resolution für Verwirrung gesorgt, hieß es. Es werde jedoch damit
gerechnet, dass der UNO-Sicherheitsrat letztendlich eine Resolution
beschließen werde, die eine Militäraktion gegen Saddam einschließe.
Frankreich, wie Großbritannien und die USA ständiges Mitglied des
Rats mit Vetorecht, hält nach den Worten von Präsident Jacques Chirac
eine neue Resolution nicht für unbedingt erforderlich. Sein Land
werde sich einer Resolution aber nicht verschließen, in der die
Bedingungen bekräftigt würden, unter denen Waffeninspektoren in den
Irak zurückkehren sollten. "Wir glauben, dass es notwendig ist, dem
Frieden eine Chance zu geben und schrittweise vorzugehen", sagte
Chirac. (APA/Reuters)