Wien - Bilanzen, Ausblicke, künftige Koalitionsoptionen wurden von den vier Parlamentsfraktionen am Freitag in der Debatte zum Auflösungsbeschluss des Nationalrats skizziert. ÖVP-Klubobmann Andreas Khol brachte es in seinem Statement auf den Punkt: "Der Wahlkampf hat begonnen." Klar waren auch die Linien der Parteien: Die SPÖ prangerte die Verschlechterungen für Österreich und die Menschen an und versprach "faire Chancen für alle". Die FPÖ bedauerte das Ende der Wende-Regierung und will den Reformweg weiter beschreiten. Auch die ÖVP tritt für eine Fortführung des eingeschlagenen Kurses ein - und zwar mit einem Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Und die Grünen wollen das schwarz-blaue Experiment beendet sehen und stattdessen Weltoffenheit und Gesellschaftsliberalität. Am 24. November, dem Wahltag, gehe es um eine Neuorientierung, betonte SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer. Nach diesem Datum müssten die Menschen wieder in den Mittelpunkt gestellt werden "und nicht Ihre Machtpfründe", so Gusenbauer in Richtung ÖVP und FPÖ. Am Ende einer Legislaturperiode müsse man sich die Frage stellen, ob das Land besser oder schlechter als zu Beginn der amtierenden Regierung dastehe. Die Antwort sei "schlechter" - dieser Befund treffe Pensionisten wie Studenten und Arbeitnehmer. Und wenn Schüssel angesichts steigender Arbeitslosigkeit und dem Vorwurf der sozialen Kälte in einem Interview von "Micky Mouse-Themen" spreche, sei das Ausdruck seiner "machtpolitischen Arroganz". "Wende rückwärts" Ähnlich die stellvertretende Grünen-Chefin Eva Glawischnig: Sie sprach von einer Wende rückwärts von schwarz und blau. Was übrig bleibe von diesen zweieinhalb Jahren sei ein Schweigekanzler und die Diskussionen um das Nulldefizit. Die großen Reformen dagegen seien "völlig ausgeblieben" - wie etwa die Bundesstaatsreform oder eine umfassende Verwaltungsreform. Gebraucht würde nun Menschen-Orientierung statt Lobby-Orientierung, mehr Unabhängigkeit in der Politik, das Einsetzen für Nachhaltigkeit, Liberalität. In Europa habe die Wende nach rechts mit Österreich begonnen, in Schweden sehe man nun eine Kehrtwende. Sie hoffe, dass der 24. November nun in Österreich zum Ausgangspunkt für eine neue Wende werde. FPÖ-Klubchef Karl Schweitzer bedauerte die vorzeitige Beendigung der Regierungsarbeit. Der Richtungsstreit in seiner Partei habe dem Koalitionspartner ÖVP den Grund für den Neuwahl-Beschluss geliefert. Diese wären nicht notwendig, die FPÖ sei immer pakttreu gewesen. Schweitzer zog in der Folge eine Erfolgsbilanz - von der Abfertigung neu bis zum Kindergeld. Die Freiheitlichen hätten gezeigt, "dass sie hervorragend regieren können", und dass sie auch unpopuläre, aber notwendige Maßnahmen mittragen würden, wie etwa die Ambulanzgebühren - wozu Khol anerkennend nickte. Gusenbauer warf Schweitzer programmatische Ziellosigkeit vor, der SPÖ-Chef habe Österreich nach der Regierungsbildung zudem in der Welt vernadert. Die Grünen wiederum würden Österreich zu einem "Hort für illegale Ausländer und Drogensüchtige machen" wollen - daher: "rot-grün - nein danke". Khol: alle Optionen offen Khol ließ alle Koalitionsoptionen offen, machte aber klar: Gusenbauer sei in den vergangenen Jahren einen Zick-Zack-Kurs gefahren, eine Zusammenarbeit mit Gusenbauer könne er sich daher schwer vorstellen, "aber es gibt auch Vernünftige in Ihren Reihen". Zu den Grünen merkte Khol an, hier kenne man zwar im Gegensatz zur SPÖ das Team, aber dieses stehe für die Freigabe weicher Drogen, einen Zuschlag für jeden Pkw-Kilometer in der Höhe von drei bis sechs Cents, was die Pendler hart treffen würde, oder die Abschaffung der Witwenpension. Khol in Richtung Fernseh-Zuschauer: zu rot-grün und Abschaffung der Witwenpensionen werde es nicht kommen. Und der ÖVP-Klubobmann in Richtung FPÖ: auch er hätte die Regierungsarbeit gerne fortgesetzt. Haupt: Kein Anlass für Neuwahlen Aus Sicht der FP-Regierungsmitglieder habe es keinen Anlass für vorgezogene Neuwahlen gegeben, erklärte Sozialminister Herbert Haupt (F) Freitag bei der Debatte über den Auflösungsbeschluss im Nationalrat. Die Neuwahlen würden der Abstimmung über den erfolgreichen Regierungskurs dienen, sagte Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (V). Haupt und Gehrer deponierten das Interesse ihrer Parteien, auch nach den Wahlen wieder in der Regierung zu sein. Und beide wiesen die Kritik der Opposition an der schwarz-blauen Politik zurück. Den Oppositions-Vorwurf der "sozialen Kälte" wies Haupt zurück: Die Regierung habe "in der sozialen Dimension des Staates die Sozialaufgaben bestens erfüllt", sagte er. Auch in der Frauenpolitik verwies er auf Erfolge: Es seien heute mehr Frauen in Beschäftigung - und "für Frauen, die nicht ausschließlich ihre Selbstbestätigung am Arbeitsmarkt suchen, sondern auch in der Familie", sei das Kindergeld eingeführt worden. "Eine zielgeführte Sozialpolitik und nicht eine Sozialpolitik mit der Gießkanne für die, die es nicht brauchen, war die Handschrift dieser Regierung." "Falsch" wäre es, würden die von der VP-FP-Koalition eingeführten Studiengebühren wieder zurückgenommen, sagte Gehrer. "Das wäre das alte Denken, dass jeder alles vom Steuerzahler unentgeltlich erhalten muss." In der Bildungspolitik sei Kontinuität besonders wichtig, der "zielorientierte Weg" müsse fortgesetzt werden. So müsse die Uni-Reform 2002 "zielorientiert umgesetzt" werden, wandte sich die Bildungsministerin gegen Ankündigungen der Opposition, im Fall einer Regierungsbeteiligung wieder vieles, was Schwarz-Blau beschlossen hat, zurücknehmen zu wollen. Cap: Abwählen ist die Antwort Mitten im Wahlkampf war der geschäftsführende SPÖ-Klubchef Josef Cap. Er begrüßte, dass die Koalitionsparteien den Weg frei gemacht hätten für die von der SPÖ schon lange geforderten Neuwahlen. Sein Sündenregister der schwarz-blauen Koalition war lang: Postenschacher, Geldvernichtung, Schulden, Abrücken vom Nulldefizit. "Abwählen muss die Antwort sein. Abwählen - Sie haben hier nichts mehr verloren." Den Freiheitlichen und namentlich ihrem neuen Klubchef Karl Schweitzer warf er vor, sich der ÖVP wieder als Regierungspartner anbiedern zu wollen: "So ein würdeloses Wimmern um eine Regierungsbeteiligung habe ich überhaupt noch nie erlebt." Vor allem sollte die FPÖ nicht auf die Vergesslichkeit der Österreicher setzen. Immerhin sei der "Privilegienstadl" um Reinhart Gaugg die Sommerdebatte gewesen - und die ÖVP habe mitgespielt. Überhaupt habe es die ÖVP und namentlich Innenminister Ernst Strasser mit den Posten: "Das ist ein Proporz, wie es ihn in Österreich seit 1945 nicht mehr gegeben hat." Öllinger gegen das "Untergriffige" Karl Öllinger (G) beklagte Ton und Umgangsformen in der Politik und im Parlament, das "Untergriffige" sollte aber nicht Sache des Parlaments sein. Der Abgeordnete verwies darauf, dass er im Zusammenhang mit der Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung Anfang April selbst mit der "Unterstellung", er sei "Gewalttäter", konfrontiert gewesen sei. Dieser Vorwurf sei vor allem von der ÖVP gekommen: "Sie waren das, gemeinsam mit den Abgeordneten von der FPÖ, und sie sind zu feig, sich dafür zu entschuldigen. So geht man nicht miteinander um. Und vor allem nicht wider besseren Wissens." Den Regierungsparteien warf er vor, aus der Verantwortung zu flüchten. So gebe es kein Konzept für die Pensionserhöhung für das kommende Jahr, Probleme gebe es auch bei der Gehaltserhöhung für die Beamten. Gleichzeitig habe die Koalition in einem "Ruck Zuck-Verfahren" aber ein Pensionsspar-Modell an der Börse vorgestellt, kritisierte er. (APA)