Bühne
"Alibi": Gewalt und Heimatlosigkeit
Meg Stuarts neue Tanz-Performance in Wien zu sehen
Wien - Der Körper ist ihr Material, Forschungsobjekt und
Ausdrucksmittel. Er wird malträtiert, zerlegt und neu konstruiert.
Mit einer radikalen Körpersprache prägt Meg Stuart seit ihrem
Erstlingswerk "Disfigure Study" (1991) die europäische Tanz- und
Performanceszene. Stuart gilt als eine der wichtigsten
zeitgenössischen Choreografinnen. Ab Dienstag (24. 9.) zeigt die in
Zürich lebende Amerikanerin mit ihrer 1994 gegründeten Kompanie
Damaged Goods ihre aktuelle Produktion "Alibi" im Wiener
Tanzquartier.Zustandsbeschreibung von Heimatlosigkeit
"Alibi", vergangenen November am Zürcher Schauspielhaus
uraufgeführt, ist eine Zustandsbeschreibung von Heimatlosigkeit. Die
Körper der Tänzer beben vor Anspannung und Hilflosigkeit, sie zucken
und vibrieren wie Detonationskörper kurz vor der Explosion.
Ausgangspunkt der Arbeit waren Studien zum Bewegungsmaterial in
Gewaltvideos, Action-Streifen wie "Fight-Club" und Kung-Fu Training.
Typisch für die genreübergreifende Arbeit Meg Stuarts ist "Alibi"
kein reiner Tanzabend. Als Artist in Residence am Zürcher
Schauspielhaus stellt sie Tänzer und Schauspieler gemeinsam auf die
von Anna Viebrock gestaltete Bühne, die von Bildern amerikanischer
Hinrichtungskammern inspiriert ist. Neben den Tanzszenen gibt es
Texte voller Bosheit und Selbsthass von Tim Etchells (Forced
Entertainment), der Quiz-Show-Elemente paraphrasiert. Projektionen
des Videokünstlers Chris Kondek, langjähriger Mitarbeiter der
legendären Wooster Group, zeigen Boxkämpfe, Straßen oder ein
Fußballspiel. "Alibi" wurde zum diesjährigen Berliner Theatertreffen
eingeladen und in verschiedenen europäischen Städten gezeigt.
Werdegang
Meg Stuart, 1965 in New Orleans geboren und an der New York
University als Tänzerin ausgebildet, war zunächst Mitglied der Randy
Warshaw Dance Company. Bereits mit ihrem ersten abendfüllenden Stück,
"Disfigure Study" (1991), zusammengesetzt aus mehreren kleinen
Körperstudien, feierte sie große Erfolge in der europäischen
Tanzszene.
Stuarts Fragmentierung des alltäglichen Bewegungsmaterials, das
bis ins Detail zerlegt und isoliert wird, um dann neuen emotionalen
Gehalt zu offenbaren, initiierte am Beginn der 90er eine neue
Körperästhetik. Sie begreift den Körper als Material, mit dem sie roh
und leidenschaftlich umgeht. Dem Trend zur Erforschung des Körpers
folgten seither junge Choreografen wie Xavier Le Roy oder Saskia
Hölbling. Die Wiederaufnahme von "Disfigure Study" mit neuen Tänzern
und neuer Musik, beim vergangenen Impulstanz-Festival in Wien zu
sehen, zeigte ein zugleich historisches Dokument der Tanzgeschichte
und einen immer noch berührenden, zeitlosen Tanzabend. (APA)