Europa
Maurice Papon, Vichy-Beamter und Gestapo-Helfer
NS-Kollaborateur kommt vorzeitig aus dem Gefängnis frei
Paris - Lange hatte Maurice Papon auf die Gnade Jacques
Chiracs gehofft. Dabei waren dem hohen Vichy-Beamten und beflissenen
Helfer der Gestapo Selbstzweifel oder gar Reue fremd. Der
Gnadenerlass aus dem Elysee-Palast blieb aus und der französische
Nazi-Kollaborateur in Haft. Aber die von Ärzten attestierte schwere
Herz-Kreislauf-Erkrankung bringt Papon im Alter von 92 Jahren
schließlich doch die Freiheit. Er war als einziger ranghoher
französischer Beamter wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die
Menschlichkeit während der Nazi-Zeit verurteilt worden. Im Kollaborationsregime von Vichy stieg der Jurist Papon schnell
zum Generalsekretär der Präfektur von Bordeaux auf. Auf diesem Posten
war er zwischen 1942 und 1944 unter anderem für "jüdische
Angelegenheiten" zuständig. Die deutschen Besatzer gaben ihm gute
Noten: "ein tüchtiger Verwalter, der mit schwierigen Situationen
zurechtzukommen weiß", hieß es. Was ihn in den Augen der Nazis so
tüchtig erscheinen ließ, war sein skrupelloser Umgang mit den Juden.
Von seinem Schreibtisch aus überwachte Papon die Verhaftung und
Deportation von 1560 Juden, darunter 223 Kindern, in
Vernichtungslager wie Auschwitz. Nur acht seiner Opfer überlebten.
Gegen Ende des Krieges gelang es dem wendigen Papon, mit dem
französischen Widerstand anzubändeln und übergangslos in die
Verwaltung des befreiten Frankreichs zu wechseln. Während einige
seiner ehemaligen Mitarbeiter exekutiert wurden, machte Papon eine
steile Karriere und wurde mit der Machtübernahme der Gaullisten 1958
zum Pariser Polizeichef berufen. Eines der düstersten Kapitel der
französischen Nachkriegsgeschichte, das Polizeimassaker an
algerischen Demonstranten am 17. Oktober 1961 in Paris, fiel in seine
Amtszeit. Die Auftraggeber wurden niemals belangt. Papon setzte seine
Karriere unbehindert fort und wurde 1978 unter Staatspräsident Valery
Giscard d'Estaing sogar Haushaltsminister. Der Orden der Ehrenlegion
wurde ihm unlängst aberkannt.
Erst als Giscard 1981 vom Sozialisten Francois Mitterrand abgelöst
wurde, kam die Nazi-Vergangenheit Papons ans Licht. Ein Verfahren
begann, das aber unter Mitterrand - wie Papon einst treuer Beamter
des Vichy-Regimes - gezielt lahmgelegt wurde. Nach dem Tod
Mitterrands wurde der Papon-Prozess 1997 in Bordeaux eröffnet. Im
gesamten Verfahren zeigte sich der stets tadellos gekleidete alte
Herr ohne den leisesten Anflug von Bedauern. Starrsinnig erklärte er,
"Opfer einer politischen Verschwörung" zu sein, die ihn mit einer
"gesteuerten Medienkampagne zum Sündenbock" für Frankreichs
Vichy-Vergangenheit gemacht habe.
Seine Herzprobleme dienten Papon zunächst als wirksamer Vorwand,
sich dem schmachvollen Gang ins Gefängnis zu entziehen. Gleich zu
Beginn seines Prozesses wurde er auf freien Fuß gesetzt, und auch
nach seiner Verurteilung im April 1998 zu zehn Jahren Haft musste er
für die Dauer des Revisionsverfahrens nicht hinter Gitter.
Als der Antritt der Haftstrafe unvermeidlich bevorstand, versuchte
der greise Mann sogar die Flucht. Er türmte aus seinem Haus in
Gretz-Armainvilliers östlich von Paris, wo er am 3. September 1910
zur Welt gekommen war, wurde aber Tage später im Posthotel "Rössli"
im schweizerischen Gstaad verhaftet. Mehr als ein halbes Jahrhundert
nach seinen Verbrechen trat Papon in Paris seine Haftstrafe an. Nun
kann er das Sante-Gefängnis unter Aufsicht wieder verlassen und
zurück nach Gretz-Armainvilliers. (APA)