Mit der Pinakothek der Moderne eröffnete am Dienstag in München eines der weltweit größten Museen für bildende und angewandte Künste. Auf 12.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche hat Architekt Stephan Braunfels vier große Sammlungen vereint.
Von Markus Mittringer
München - Stephan Braunfels ist Eklektizist: Im Fall der Münchner Pinakothek der Moderne definiert er sich durch die Übernahme der Lehrstücke von Richard Meier, von Axel Schulthes, von Oswald Mathias Ungers - und zollt dabei dem alten Schinkel wie auch Leo von Klenze, der mit der Alten Pinakothek 1836 die bayrische Mutter aller Museen aus dem Geist der Basilika erschaffen hat, den gebührenden Respekt. Die Mischung ergibt ein verhaltenes Machtwerk, ein Kanzleramtskunstmuseum. Es lässt die Maler-Meister des 20. Jahrhunderts im Oberlicht strahlen, es erhöht die milde Stromlinie des Volkswagens, es schmeichelt Luigi Collani, den Rudolf Mooshammer unter den Designern, es lässt den Kandidaten Stoiber beim Staatsakt in der Rotunde in einer tragenden Rolle erscheinen. Oder: Wahlkampf im Getty-Museum auf bayrischem Grund, dort wo der Zweite Weltkrieg die Türkenkaserne für die spätere Nutzung als Parkplatz vorbereitet hat, dort, wo der Münchner zu seiner Erbauung gerne den Zirkus Roncalli aufsuchte. Eine Art bajuwarisches Centre Pompidou hätte dort gar nicht hingepasst, und einen Edmund Stoiber hätte jede Guggenheim'sche Manier wohl glatt erschlagen müssen.
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Münchens Pinakothek: Endlich hat auch die Moderne ein Haus gefunden. Architekt Stephan Braunfels hat es nobel zurückhaltend gestaltet.
"Dunkler Anzug, kurzes Kleid, Uniform, Tracht": Daraus durfte wählen, wer dem feierlichen Eröffnungsakt der dritten Münchner Pinakothek beisitzen wollte. Viele der protokollgerecht Gewandeten kannten die Stimmung unter dem großen Luster - die Rotunde von Pantheon'schen Ausmaßen ziert ein Sixties-Schattengitter aus konzentrischen Kreisen - schon: Der Ministerpräsident hat dort nicht zum ersten Mal empfangen: Zum Millennium schon gab er sich als Kunstpionier, ließ den lange verschleppten Rohbau eigens winterfest und sanitär befriedigend aufrüsten. Was den Bau zwar verzögerte, dafür aber sinnlos teuer war, wie Bayerns Rechnungshof im nachhinein anmerkte. Der Tradition dieser Willkür entsprechend, musste auch die Eröffnung noch vor dem Wahlsonntag, und nicht, wie geplant, im Spätherbst über die Medienbühne gehen. Vier Sammlungen eint der späte Weiheraum: Die Staatsgalerie Moderner Kunst, die Neue Sammlung mit ihren gut 50.000 Exponaten zur Geschichte des Designs, die staatliche Graphische Sammlung und das Architekturmuseum der Technischen Universität München. Nach außen hin gibt sich die "Kiste" schlicht: Eine einspringende Pfeilerhalle markiert den Eingang, ein paar Fenster lassen in die Tiefe blicken. Eine Chillida-Plastik stimmt ein auf das lichtdurchflutete Grab einer längst befriedeten Moderne. Der Rest ist zweckdienlicher Beton, städtebaulich bestens positioniert: Münchens dritte Pinakothek gibt seiner Ältesten den Vorplatz zurück. Innen dann schafft Braunfels alle Voraussetzungen, die vier Sammlungen auf insgesammt 13.000 Quadratmetern althergebracht auch weiterhin getrennt voneinander zu verhandeln. Braunfels schlägt eine große Achse quer durchs Gebäude. Sie "verbindet" Münchens Innenstadt mit der Alten Pinakothek. Von der zentralen lichtdurchfluteten Rotunde aus gelangt man über monumentale Treppen nach oben zu den ruhigen Raumgefügen für die Großmeister des letzten Jahrhunderts - aufgeteilt in Klassische Moderne, Kunst ab 1950 (mit jeweils eigenen Räumen für Beuys, Baselitz, Flavin, Fontana, Judd, Nauman, Palermo, Polke, Rainer, Richter Twombly, Wall und Warhol), und Gegenwart. Nach unten zu bohren sich die "angewandten" Vordenker in die Erde, bis mit einem Amphietheater (!?) für Sitzmöbelklassiker ein Tiefpunkt erreicht wird. Auf Eingangsniveau lassen sich neutral Architektur und Graphik präsentieren, und zeigt eine Installation von Pipilotti Rist, dass die unmittelbare Gegenwart, selbst in der milden Biedermeierlichkeit der Schweizerin in den noblen Amtsräumen bestenfalls als kurzfristiger Partygag etwas zu schaffen hat. Das Haus verlangt nach Staatstragendem. Dafür ist selbst Olaf Metzel noch zu jung. Seine Reise nach Jerusalem bleibt, wonach sie aussieht: ein ins Groteske mutierter Lampion fürs Jugendprogramm zum Staatsakt. Kunst im Rahmen Braunfels setzt auf elegante, räumlich souverän verschachtelte Verschneidungen von Kreisen, Rechtecken und Quadraten. Das ist so hintergründig dominant wie das betroffene Schweigen einer enttäuschten Mutter. Alle Kunst, die sich diesem stillen Diktat widersetzt - aus dem Rahmen fällt, den Kubus sprengt, so unausgewogen Platz greift wie die Installation des aufmüpfigen John Bock, stört die Alten bei Tisch. Endlich hat die Moderne in München ein Heim gefunden. Gemäß dem Alter ihrer Helden ist es ein Altenheim geworden. Eines mit viel Sonne, angemessen Platz und höchsten Pflegestandards in bester Lage. Damit ist eine jahrzehntelange, pech und pannenreiche Herbergssuche endlich abgeschlossen. Alle sind glücklich. Joseph Beuys' Steinhalde Das Ende des 20.Jahrhunderts ist ebenso hermetisch sicher verwahrt wie Francis Bacons Kreuzigung. Gino Severini ( Der Krieg, 1914 ) wird ab und an einen Ausflug in die Pflegestation für Design machen und dort eingedenks Marinetti Schöneres als die Nike von Samothrake beweinen: den Autobahn-Adler, das Steyer-Baby, den Tatra 87 . Die Münchner können Stolz sein: Für 121 Millionen haben sie die Wilden des letzten Jahrhunderts hoffähig gemacht. Zehn Prozent davon kamen aus privater Hand. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.9.2002)