Wien - Als Patientinnen benachteiligt, als Expertinnen in ihren Karrierewünschen im Gesundheitswesen diskriminiert: So präsentiert sich nach Darstellung von "Frauen für Frauen - Gesundheit im Brennpunkt" die Situation in Österreich. Am Rande der internationalen WHO-Konferenz "Gender & Health" im Wiener Rathaus brachten am Montag die Proponentinnen der Initiative in einer Pressekonferenz ihre Hauptanliegen vor.

Mehr als 50 Prozent der österreichischen Medizin-Absolventen sind Frauen. Bei den Primarärzten liegt der Frauenanteil aber nur bei sechs Prozent. Dazwischen liegt die so genannte gläserne Decke. "Es ist uns nicht gelungen, eine entsprechende Frauenquote in den Führungspositionen zu implementieren", erklärte Gabriele Fischer von der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie.

Männliche Medizin

Auch wird vom Gesundheitswesen auf die Geschlechtsspezifika und auf die ganz charakteristischen Bedürfnisse der Frauen kaum Rücksicht genommen. Karin Gutierrez-Lobos, ebenfalls Psychiaterin an der Wiener Universitätsklinik: "Prototyp der Medizin ist weiterhin der Mann."

So würden viele Medikamente an Frauen nicht erprobt. Daraus resultiere ein Unwissen über die spezifischen Wirkungen bei Frauen. Die Expertin: "Opioide etwa wirken bei Frauen besser, sie benötigen nur die halbe Dosis. Manche Antibiotika verursachen bei Frauen hingegen gefährliche Herzrhythmusstörungen. Der Herzinfarkt bei Frauen hat ganz andere Symptome als bei Männern."

Gutierrez-Lobos weiter: "Seit 100 Jahren dürfen Frauen in Österreich Medizin studieren. Derzeit sind mehr als die Hälfte aller Medizinstudenten und Studienabgänger weiblich, immerhin fast noch die Hälfte aller Allgemeinmediziner sind Frauen, aber nur noch ein Drittel der Fachärzte und gar nur etwa sechs Prozent der Primarärzte und Universitätsprofessoren. Damit liegt Österreich laut einem Bericht der EU-Kommission hinter der Türkei, Portugal und anderen Ländern weit abgeschlagen an zwölfter Stelle."

Auch in dem frauenspezifischen Fachgebiet schlechthin, der Gynäkologie, sind in Österreich 70 Prozent der Fachärzte Männer. In den Führungspositionen findet sich noch überhaupt keine Frau.

Wie wenig man über die Bedürfnisse der Frauen in gesundheitlicher und medizinischer Hinsicht weiß, belegt eine Umfrage der Wiener Gynäkologin Martha Krumpl-Ströher unter 100 ihrer Kolleginnen über die von ihnen bevorzugte Entbindungsart: Kaiserschnitt oder natürliche Geburt. Die Ärztin: "Acht Prozent der Gynäkologinnen, die ihr Kind noch als Turnusarzt in Spitalsausbildung bekamen, hatten sich für einen Kaiserschnitt entschieden, bei den Fachärztinnen waren es hingegen 49 Prozent." Das entscheidende Kriterium für eine Sectio ist die Dauer des Geburtsvorganges. Ab zwölf Stunden waren die Frauen mit einer Entbindung auf natürlichem Weg signifikant unzufriedener.

(DER STANDARD, Printausgabe, 17. 9. 2002)