Beth Orton:
Daybreaker
(Heavenly/EMI)

Foto: Heavenly/EMI
Folk-Music besitzt traditionell einen Ruf, mit dem der junge Mensch lieber nicht in Zusammenhang gebracht werden möchte. Nicht, wenn er ein Dasein als "MoF", also als "Mensch ohne Freunde", vermeiden möchte. Selbst gestrickte Wäsche, weltverbesserische Befindlichkeitslyrik, unrasierte Achselhöhlen, Hermann-Hesse-Brillen und ein Ernährungsmodell, das mehr Wert auf den Abgang des Essens als auf das geschmackliche Vergnügen bei dessen Einnahme legt, tauchen im Reigen der nicht zu gering vorhandenen Vorurteile und Klischees bezüglich Folk auf. Da hilft es auch nichts, dass selbst die alte Giftspritze Bob Dylan als Folkie begonnen hat, oder dass die Pogues bewiesen haben, dass diese Musik mindestens so unterhaltsam wie Punk sein kann. Ewig betroffene Klassiker wie Richie Havens, Joan Baez oder deren heimischen Pedants wie STS versperren die Sicht auf teils wunderbare Musik, die unter dem Signet Folk produziert wurde und wird. Die diesen Umstand aufzeigende Folk-Bewegung San Franciscos ( Hit Me With A Flower ) zu Beginn der Neunziger endete zwar eher unrühmlich, aber im lauten Krach dieser Zeit, ausgelöst von Grunge oder Techno entstanden auch Bands wie Mazzy Star, die positive Genre-Ausnahmen wie etwa den früh verstorbenen Nick Drake neu wahrnahmen und weiter formten. Einem anderen Modell, frei von eingangs strapazierten Feindbildern, hat sich die Britin Beth Orton verschrieben. Ihre Musik ist von den Einflüssen der britische Club-Musik durchzogen, an der Orton nicht ganz unbeteiligt war. Im Gegenteil. Sie debütierte auf dem Album Strange Cargo 3 des Dancefloor-Produzenten William Orbit. In Folge lieh sie den Chemical Brothers, damals noch Dust Brothers, ihre herbe Stimme, sang kurze Zeit für die phänomenale Club-Jazz-Band Red Snapper und veröffentlichte 1996 ihr - leider nicht so tolles - Debüt-Album Trailer Park . 1999 folgte Central Reservation , auf dem so namhafte Gäste wie der Soul-Barde Terry Callier, Dr. John oder Ben Harper auftraten. Mit Daybreak liegt nun das dritte Album der 31-Jährigen vor. Dieses verbindet die Errungenschaften programmierter Sounds mit traditioneller Instrumentierung. Damit steht es einerseits in der Folk-Tradition, die Kollaborateure wie Johnny Marr, Ryan Adams oder Emmylou Harris noch verstärkten. Andererseits unterlegt Orton die meisten ihrer Songs mit Klängen aus dem elektronischen Paralleluniversum, die ihren Texten ein modernes poetisches Flair verleihen. Am überzeugendsten gelingt ihr das im Song Anywhere , in dem ein pulsierender Rhythmus mit entfernten Streichern und coolen Bläsern sowie dem selbstbewussten Tonfall Ortons einen nahezu perfekten Pop-Song ergeben. Dasselbe gilt für den Titelsong, in dem Streicher die elektronischen Rhythmen mit jenen zartbitteren Emotionen versorgen, die, bei aller unkonventionellen Instrumentierung, dafür verantwortlich sind, dass unterm Strich letztlich doch Folk rauskommt. Undogmatische Traditionspflege besitzt eben auch Zukunft. In diesem Sinne. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.9.2002)