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Foto: REUTERS/ROMEO RANOCO
Badam - Vor einem Jahr hat sich das Leben der 19-jährigen Mishgan auf ein Dorf 60 Kilometer südlich von Kabul beschränkt: ohne Schulbildung und ohne Hoffnung, dass die Zukunft ihr etwas anderes zu bieten hätte, als in ihrem jungen Körper noch mehr Kinder auszutragen. Dann kamen der 11. September, die amerikanischen Bombardements in Afghanistan, die Flucht der Taliban und die Übergangsregierung. Doch die Ereignisse, die die Welt erschütterten, wirkten sich auf Mishgans Leben kaum aus. "Es gibt dieselben Schwierigkeiten, mit oder ohne die Taliban", sagte sie. Vor einem Jahr bekam Hassen Taj Shirzad das von den Taliban verhängte Verbot, eine Schule zu besuchen oder zu arbeiten, noch voll zu spüren. Vier Jahre hatte sie nähend zu Hause verbracht, obwohl sie einen Studienabschluss hat. Ihre jüngere Tochter lernte heimlich daheim, die ältere war nach Pakistan gegangen, um dort ihren Schulabschluss zu machen. Jetzt ist die ältere Tochter zurückgekommen, um Medizin zu studieren, die kleinere ist in der Schule. Frau Shirzad (42) selbst lebt und arbeitet ungehindert in Kabul. Aber als sie kürzlich im Auto in die Provinz Wardak fuhr, in der auch Badam liegt, holte sie wieder die Burka aus der Mottenkiste und zog sie sich über das Gesicht. Die gesellschaftliche Befreiung hat in vielen Fällen an der Stadtgrenze halt gemacht. "Die Lage in den Städten und am Land ist so unterschiedlich", bestätigt Shirzad, die als Lehrerausbildnerin für Care International arbeitet. Vision der Taliban Die Taliban bezogen ihre Vorstellung über das weibliche Geschlecht vom Leben der Paschtunen in den Dörfern, wo Mädchen nicht lernten, Frauen nicht arbeiteten und wo nicht verwandte Männer und Frauen lockeren Umgang vermieden. Diese Vorstellung drückten sie auch den Frauen in den Städten auf, die größere Freiheiten gewohnt waren. Mit einem Mal sah Shirzads Leben wie das von Mishgan aus. Mit dem Ende der Taliban öffnete sich diese Kluft wieder. Wenn städtische Frauen unter der Herrschaft der Taliban besonders gelitten hatten, so spürten sie nun die größere Erleichterung. In den Städten sind Mädchen in die Schulen und Frauen an die Arbeitsplätze zurückgekehrt. Viele junge Frauen fürchten sich vor begierigen Blicken und tragen deshalb noch die Burka, aber sie tragen sie auf dem Weg zur Universität. In den Dörfern, in denen 80 Prozent der Frauen in Afghanistan leben, vor allem im breiten Gürtel der Paschtunen südlich von Kabul, ist alles noch wie früher. Mädchen bleiben ungebildet, heiraten im Kinderalter, gebären viele Kinder und haben wenig Hoffnung, dass das Leben ihrer Töchter anders aussehen wird. Städterinnen betrachten die Frauen am Land mit einer Mischung aus Mitleid und Herablassung. Malalai, eine Ärztin, die in Kabul lebt und in einer Klinik in Wardak arbeitet, drückt es so aus: "In der Stadt können Frauen über ihre Heirat, ihr Leben entscheiden, im Dorf nicht." Sie hat keine Kinder. "Ich mag sie nicht allzu sehr", sagt sie unverhohlen, während ihr Ehemann dazu lacht. Als Mishgan ihrem Mann sagte, dass sie keine weiteren Kinder haben wolle, drohte er ihr, sich eine zweite Frau zu nehmen. In der traditionellen Dorfkultur, wo man davor zurückschreckt, dass Männer Frauen unterrichten oder behandeln, sind städtische Frauen mit ihrer Bildung und ihren Fähigkeiten entscheidend, um das Leben der Dorfbewohnerinnen zu verändern. Dazu müssen sie in die ländlichen Gebieten gehen - und in kleinen Zahlen tun sie das auch. Aber die Probleme, denen die Frauen am Land nicht entkommen können - Mangel an Schulen, Elektrizität, Trinkwasser und Freiheit - begrenzen das Engagement, das ihnen Städterinnen zu ihrer Unterstützung bieten können oder wollen. Weil es schwierig ist, Lehrerinnen und Ärztinnen zur Arbeit in den ländlichen Gebiete zu bewegen, müssen Nichtregierungsorganisationen improvisieren. Das International Medical Corps hat etwa Dorfbewohnerinnen zu traditionellen Hebammen ausgebildet, die Probleme bei Schwangerschaften erkennen können. Freiwillige gesucht Die Organisation Care International, die vor drei Jahren in Wardak und sechs anderen Provinzen mit der Gründung von Mädchenschulen begann, ging von Dorf zu Dorf, suchte nach Frauen, die zumindest rudimentär lesen und schreiben konnten, und bildete sie zu Lehrerinnen aus. In Badam, wo hundert Familien leben, zählt zu den Care-Lehrern auch ein schüchternes 15-jähriges Mädchen, dem der Vater, ein Lehrer, das Lesen beigebracht hat. "Etwas ist besser als nichts", sagte Shirzad, auch wenn sie das Mädchen rügte, weil es nicht wusste, dass sich eine Frau bei der Loya Jirga, der traditionellen Stammesversammlung, um die Präsidentschaft beworben hatte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 11.9.2002)