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Brüssel/Den Haag - Ist der frühere jugoslawischen Staatspräsident Slobodan Milosevic verantwortlich für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo vor und während der Nato-Luftangriffe auf Serbien im Frühjahr 1999?

Am Mittwoch wurde vor dem Jugoslawien-Tribunal die Beweisaufnahme zu dieser Frage abgeschlossen, nach Verhören von mehr als 100 Zeugen und der Vorlage von Hunderten von Beweisen, die wegen ihres Umfangs oft in Kartons transportiert werden mussten. Doch trotz des Aufwandes, der im bisher längsten und politisch bedeutendsten Prozess des Tribunals getrieben wird - viele Fragezeichen und Widersprüche sind geblieben. Der Milosevic-Prozess hat auch die Unzulänglichkeiten des Gerichts erbarmungslos bloßgelegt.

Wegen des Umfangs der Beweisaufnahme wollten die drei Richter den Prozess splitten und die Anklagen zu Kosovo auf der einen und Kroatien sowie Bosnien auf der anderen Seite getrennt verhandeln. Doch die Berufungsinstanz gab Chefanklägerin Carla del Ponte Recht und verordnete dem Vorsitzenden Richter Richard May einen Prozess mit zwei Anklagen. Im Gegenzug setzte May die Anklage unter massiven Zeitdruck: Er strich die Zeugenliste zusammen und setzte ihr Limits, die nur durch ein eigens für diesen Prozess entwickeltes Expressverfahren einzuhalten waren.

Die Anklagevertreter gingen dazu über, Zeugen nicht mehr ausführlich zu befragen, sondern ihnen nur ihre schriftlichen Aussagen aus der Voruntersuchung vorzuhalten. Die Hoffnung vieler Zeugen, vor dem Tribunal ihre Leidensgeschichte loszuwerden, zerstob damit. Nach einer kurzen Einführung durch die Anklage folgte in der Regel ein aggressives Kreuzverhör durch Milosevic, der oft erfolgreich versuchte, sie in eine Ecke mit der Rebellenarmee U¸CK zu stellen oder ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern.

"Die Anklage will nicht nur eine Verurteilung Milosevic' erwirken", fand der unabhängige Jurist Michail Wladimiroff, "sie will auch Geschichte schreiben. Und damit ist sie überfordert." So legte Ankläger Geoffrey Nice auch Beweise für Verbrechen vor, deren Milosevic gar nicht angeklagt ist.

Keine Beweise

Massenvertreibungen, Terror gegen albanische Dörfer und Massenmorde müssen nach der Beweisaufnahme als erwiesen angesehen werden. Doch hat die Anklage bisher keinen Beweis dafür vorgelegt, dass Milosevic Verbrechen gegen die albanische Zivilbevölkerung befohlen hat. Milosevic wurde über die Verbrechen zwar von westlichen Diplomaten unterrichtet, glaubte ihnen aber nicht oder spielte ihre Angaben herunter. Ob er ihnen Glauben hätten schenken müssen, müssen die Richter entscheiden. Bejahen sie die Frage, reicht das für eine Verurteilung, denn nach dem Statut des Tribunals genügt es, wenn ein Angeklagter von Verbrechen wusste und sie nicht verhinderte, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. (DERSTANDARD, Printausgabe, 12.9.2002)