Cyber-Kolonialismus versus Eigenständigkeit
am Beispiel Afrikas, mehr oder weniger
abgehandelt in "Globalisierungskunst"
Redaktion
,
Cyber-Kolonialismus versus Eigenständigkeit
am Beispiel Afrikas, das Politische in der
Kunst sowie Ausgeschlossenheit im Sinne
von Zensur: Themen beim Symposion der
Ars Electronica, mehr oder weniger
abgehandelt in "Globalisierungskunst".
Der Bürgermeister von Timbuktu grinst in die Kamera. Es
ist ein offizielles Pressefoto
und zeigt das Oberhaupt beim
Versenden einer E-Mail. Das
rührende Dokument könnte
fast als Karikatur, auch zum
Ars-Thema "Unplugged" verstanden werden. Birama Diallo aus Mali stellte dies ans
Ende seines Vortrages über
das - auch von der Unesco unterstützte - Timbuktu Telecenter, das in seinen vier Bestandsjahren 180.000 Besucher verzeichnete. Wir
schreiben Tag zwei des Symposions, an dem Afrika zwischen Cyber-Kolonialismus
und Eigenständigkeit in prototypischen Modellen besprochen wurde.
Diallo erklärte freudig, dass
man im Telecenter, das billig
Trainer ausbilde, auch viele
Frauen in die neue Technologie eingeführt habe. Und gab
zugleich zu, dass dort bloß 17
Prozent aller Frauen in die
Schule gingen, also lesen und
schreiben lernten. Eine Marktfrau verkauft Gewürze via Internet, welch Fortschritt!
Ein Paradebeispiel eines
"neuen Kolonialismus" demonstrierte Michel Mavros,
technischer Leiter des ersten,
1996 gegründeten senegalesischen Internetcafés und Providers Metissacana. In den
kurzen Jahren sei das Internet
auch dort zum Massenmedium geworden. Durch das Monopol von France Télécom
schrumpfte die Speicherkapazität seines Cafés - und damit
stieg die Zahl der frustrierten
Kunden. Im Vorjahr gab das
Café mit Frontfrau Omou Sy
auf. Mavros über die jetzige Situation in Senegal: "Der Profit
geht zurück nach Frankreich,
ganz wenig wird im Lande
wieder investiert."
Auf der Stromverbrauchs-
Weltkarte ist Afrika ein
dunkler Fleck. Eckdaten über
den 800-Millionen-Kontinent
lieferte der Südafrikaner Michael Jensen, Technologieberater in rund 30 afrikanischen
Ländern. Die Zahl von 0,4
Prozent Internetusern spräche
Bände, obwohl dies ja auch
noch gar nichts über die Qualität der Nutzung sage.
Wo bleibt die Kunst? Eine
Frage, die immer brisanter
wird auf diesem Festival. Sie
bot einen mehr oder weniger
geglückten "Schauplatz globaler Konflikte". Peter Fends
materialintensive, in seiner
Fülle zur Dekoration verkommende, an sich kluge
Landkarteninstallation, die
Einzugsgebiete von Flüssen
zeigt, war bereits Aushängeschild einer ähnlichen (Globalisierungs-)Geschichte gewesen, im Einzugsgebiet von
Inklusion: Exklusion, steirischer herbst 1996.
Unplugged kann auch Ausgeschlossenheit im Sinne von
Zensur heißen. Über die Situation in Asien spricht heute,
Mittwoch, der aus China gebürtige und seit 1990 in Paris
lebende Kunsttheoretiker und
Kurator Hou Hanru, in Wien
durch die beachtliche Secession-Ausstellung
Cities on the
Move 1997
hervorgetreten. Er
bestätigt im STANDARD-Gespräch diesen "hohen Grad an
Überwachung bei Medien und
Internet" in China.
Gleichzeitig entstünden, so
Hou, viele alternative Orte,
parallele Systeme, die unterschiedliche Wirtschaftsmodelle propagieren. Wer hat
Zugang (access)? Die Antwort
ist, so Hou, "die Piratenversion von allem, der einzige Weg
für viele Länder". "Wir sind
am Redefinieren, was der
Mainstream der Gesellschaft
ist", sagt Hou, und "diese neuen Verhältnisse schaffen auch
für die Kunst neue Konfusionen." Zu diesem Thema gab es
ein gutes, allerdings höchst
unprofessionell schlapp präsentiertes Netz-Projekt, KOP -
Kingdom of Piracy, das sich in
der Electrolobby übte.
Viele freuten sich, so der
Theoretiker: je gefinkelter und
komplizierter die Technologie
desto besser die Sache. "Die
Kunst ist aber der genaue Gegensatz zu dieser präzisen Definition, und daran sollten wir
arbeiten."
(DER STANDARD, Printausgabe, 11.9.2002)
Forum:
Ihre Meinung zählt.
Die Kommentare im Forum geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.
Die Redaktion behält sich vor, Kommentare, welche straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen,
den guten Sitten widersprechen oder sonst dem Ansehen des Mediums zuwiderlaufen
(siehe ausführliche Forenregeln),
zu entfernen. Benutzer:innen können diesfalls keine Ansprüche stellen.
Weiters behält sich die STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. vor, Schadenersatzansprüche
geltend zu machen und strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen.