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Foto: APA/ EPA/ Paul Vicente
Es steht nicht zum Besten ums traditionelle englische Bier, das der Wirt lauwarm über die Schank schiebt, randvoll in Gläser gefüllt, ohne Schaum und Kohlensäure. An der Themse nennt man es Real Ale. Es ist weder pasteurisiert noch gefiltert. Es schmeckt leicht bitter und hat die bräun- liche Farbe der extrastarken Lutschbonbons namens Fisherman's Friends, die den Briten im nassen Herbst den Rachen freikratzen. Für die einen gehört Ale zum Königreich wie die Biermatte, das kleine Frotteehandtuch, das auf jedem ordentlichen Schanktisch liegt. Für andere ist es ein Auslaufmodell, etwas für Stammtisch- brüder mit Bierbauch und Bart. Etwas für Leute wie Ronnie Biggs, den ergrauten Posträuber: Ihn trieb der Durst auf ein Bitter vom sonnigen Rio zurück in den Regen - geradewegs ins Gefängnis Ihrer Majestät. Umsatz geht zurück

Kein Wunder also, dass aus den Zapfhähnen immer weniger Real Ale rinnt: Um fünf Prozent ging der Umsatz im Vorjahr zurück. Kein Wunder auch, dass sich die Branche an den letzten Strohhalm klammert. An die potenzielle Bitterbier-Liebe der Frauen. Doch so richtig gefunkt hat es noch nicht. Im Pub ist die Weiblichkeit zwar zahlreich vertreten, nur hält sie meist ein Flascherl "Baccardi Breezer" in der Hand, eine süße Mischung aus Limonade und Rum. Wenn schon Bier, dann muss es ein Helles sein, auf den Britischen Inseln als Lager bekannt, und nicht dieser Altmännertrunk namens Ale. Nur jede vierte Frau habe schon einmal Ale probiert, klagt die Campaign for Real Ale (Camra), die Lobby der Traditionsbrauer. Jede Fünfte befürchte, sie werde dick. Hymne mit Rezept Nun soll es "Ninkasi" richten. Camra schickte Werbeprofis in die Archive, und die kramten prompt eine vier Jahrtausende alte Urkunde hervor. Eine Hymne an diese Göttin, gedichtet im Reich der Sumerer, enthält ein Rezept, in dem Brotfladen, Datteln, Honig und Malz zu einem schwach alkoholischen Getränk vergoren werden, einem Vorläufer des Real Ale. "Ale war immer weiblich", lautete die kühne Schlussfolgerung der Braulobby. Im Nu tauchte Ninkasi auf 10.000 Postern, 50.000 Flugblättern und 300.000 Biermatten auf: eine langbeinige Schönheit, den Betrachter selbstsicher fixierend, die Lara Croft des Real Ale. Eine Göttin, von der sich die moderne Frau angesprochen fühlen soll. Dabei hat die Schlacht ums Bitterbier wenig mit der Moderne, dafür umso mehr mit Traditionspflege zu tun. Wer sich ein Bild machen will, geht zu "Young's" nach London-Wandsworth - 1533 gegründet, die älteste noch heute produzierende britische Brauerei. Eine Brauerei mit angeschlossenem Pferdestall. Dort mampfen stattliche Rösser wie "Buster" und "Bomber" ihren Hafer, und das keineswegs nur zur Schau. Protestwelle Die Gäule ziehen tatsächlich noch fässerbeladene Karren. Als sie bei Young's die Fuhrwerke abschaffen wollten, kam eine Protestlawine ins Rollen. Nach zwei Wochen Zwangspause stampften die Pferde wieder übers Pflaster, wenn auch ihr Aktionsradius fortan etwas kleiner ausfiel: eine Meile, nicht mehr. Noch ein Wort zum Bitter. Am Ende bleibt von dem Gebräu auch nicht viel mehr als sein Name. Extra für weibliche Biertrinker wurden einige neue Sorten kreiert. Eine schmeckt nach Honig, eine nach Banane, eine dritte, "Ale Mary", nach Zimt. Das hat dann aber, schmollen die Stammtischbrüder, mit dem reinen, wahren Bier nichts mehr zu tun. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.9.2002)