In der erbitterten Schlacht ums reine, wahre Bier flehen Britanniens Braumeister den Himmel um Beistand an
Redaktion
,
Es steht nicht zum Besten ums
traditionelle englische Bier,
das der Wirt lauwarm über die
Schank schiebt, randvoll in
Gläser gefüllt, ohne Schaum
und Kohlensäure. An der
Themse nennt man es Real
Ale. Es ist weder pasteurisiert
noch gefiltert. Es schmeckt
leicht bitter und hat die bräun-
liche Farbe der extrastarken
Lutschbonbons namens Fisherman's Friends, die den
Briten im nassen Herbst den
Rachen freikratzen.
Für die einen gehört Ale
zum Königreich wie die Biermatte, das kleine Frotteehandtuch, das auf jedem ordentlichen Schanktisch liegt. Für
andere ist es ein Auslaufmodell, etwas für Stammtisch-
brüder mit Bierbauch und
Bart. Etwas für Leute wie Ronnie Biggs, den ergrauten Posträuber: Ihn trieb der Durst auf
ein Bitter vom sonnigen Rio
zurück in den Regen - geradewegs ins Gefängnis Ihrer
Majestät.
Umsatz geht zurück
Kein Wunder also, dass aus
den Zapfhähnen immer weniger Real Ale rinnt: Um fünf
Prozent ging der Umsatz im
Vorjahr zurück. Kein Wunder
auch, dass sich die Branche an
den letzten Strohhalm klammert. An die potenzielle Bitterbier-Liebe der Frauen.
Doch so richtig gefunkt hat
es noch nicht. Im Pub ist die
Weiblichkeit zwar zahlreich
vertreten, nur hält sie meist
ein Flascherl "Baccardi Breezer" in der Hand, eine süße
Mischung aus Limonade und
Rum. Wenn schon Bier, dann
muss es ein Helles sein, auf
den Britischen Inseln als Lager bekannt, und nicht dieser
Altmännertrunk namens Ale.
Nur jede vierte Frau habe
schon einmal Ale probiert,
klagt die Campaign for Real
Ale (Camra), die Lobby der
Traditionsbrauer. Jede Fünfte
befürchte, sie werde dick.
Hymne mit Rezept
Nun soll es "Ninkasi" richten. Camra schickte Werbeprofis in die Archive, und die
kramten prompt eine vier
Jahrtausende alte Urkunde
hervor. Eine Hymne an diese
Göttin, gedichtet im Reich der
Sumerer, enthält ein Rezept,
in dem Brotfladen, Datteln,
Honig und Malz zu einem
schwach alkoholischen Getränk vergoren werden, einem
Vorläufer des Real Ale.
"Ale war immer weiblich",
lautete die kühne Schlussfolgerung der Braulobby. Im Nu
tauchte Ninkasi auf 10.000
Postern, 50.000 Flugblättern
und 300.000 Biermatten auf:
eine langbeinige Schönheit,
den Betrachter selbstsicher fixierend, die Lara Croft des Real Ale. Eine Göttin, von der
sich die moderne Frau angesprochen fühlen soll.
Dabei hat die Schlacht ums
Bitterbier wenig mit der Moderne, dafür umso mehr mit
Traditionspflege zu tun. Wer
sich ein Bild machen will,
geht zu "Young's" nach London-Wandsworth - 1533 gegründet, die älteste noch heute produzierende britische
Brauerei. Eine Brauerei mit
angeschlossenem Pferdestall.
Dort mampfen stattliche Rösser wie "Buster" und "Bomber" ihren Hafer, und das keineswegs nur zur Schau.
Protestwelle
Die Gäule ziehen tatsächlich noch fässerbeladene Karren. Als sie bei Young's die
Fuhrwerke abschaffen wollten, kam eine Protestlawine
ins Rollen. Nach zwei Wochen
Zwangspause stampften die
Pferde wieder übers Pflaster,
wenn auch ihr Aktionsradius
fortan etwas kleiner ausfiel:
eine Meile, nicht mehr.
Noch ein Wort zum Bitter.
Am Ende bleibt von dem Gebräu auch nicht viel mehr als
sein Name. Extra für weibliche Biertrinker wurden einige
neue Sorten kreiert. Eine
schmeckt nach Honig, eine
nach Banane, eine dritte, "Ale
Mary", nach Zimt. Das hat
dann aber, schmollen die
Stammtischbrüder, mit dem
reinen, wahren Bier nichts
mehr zu tun. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.9.2002)
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