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Standard: Vier Millionen Arbeitslose, kaum Wachstum: Die deutsche Wirtschaft ist der Bremsklotz Europas. Ist das nur die Schuld der rot-grünen Regierung oder auch ihrer Vorgänger?

Lambsdorff: Die letzten vier Jahre der Regierung Kohl haben zu der Entwicklung sicherlich beigetragen. Die Regierung Schröder hat am Anfang die Situation noch verschlimmert, insbesondere durch das Wirken des damaligen Finanzministers Oskar Lafontaine. Sie hat auch später nicht den Mut gehabt, die notwendigen Schritte bei der Deregulierung der Arbeitsmärkte zu setzen. Im Gegenteil: Die Arbeitsmärkte sind zusätzlich reguliert worden.

STANDARD: Zumindest eine Steuerreform hat die Regierung zustande gebracht.

Lambsdorff: Die Steuerreform ist sicherlich auf der Habenseite der Regierung. Aber sie hatte Mängel. Ausgerechnet die Entlastung der mittelständischen Unternehmen wurde vertagt und wird jetzt als Folge der Flutkatastrophe noch einmal vertagt. Diese Entscheidung basiert nicht zuletzt auf einer Philosophie, die der Bundeskanzler vor drei Jahren mit den Worten formuliert hat: "Wir entlasten die Unternehmen, aber wir entlasten nicht die Unternehmen." Das ist eine völlige Verkennung der deutschen Unternehmensstruktur.

S TANDARD: Auch Stoiber hütet sich vor allem, was nach Sozialabbau oder Deregulierung klingt. Ist er besser als Schröder? Lambsdorff: Zwischen niedersächsischer Industriepolitik und bayerischem Colbertismus sehe ich keinen Unterschied. Sie sind beide staatsinterventionistische Fummler. S TANDARD: Doch mit dem Ruf nach echten Reformen werden in Deutschland offenbar keine Wahlen gewonnen.


Lambsdorff: Alle wissen, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen, aber jeder will am Gürtel des Nachbarn herumfummeln. Das zu ändern ist die Aufgabe der politischen Führung. Einer der wenigen, die das konnten, war Ludwig Erhard. Er würde sich heute von unserem überregulierten Land mit Grausen abwenden.

S TANDARD: Sind die USA nach all den Bilanzskandalen noch ein Vorbild? Lambsdorff: Was sich bei Enron und Worldcom getan hat, ist abschreckend und schädlich. Aber die US-Wirtschaft ist dynamischer und unserer deutlich überlegen. Das wird so bleiben, wenn wir nicht einiges ändern. Damit sage ich nicht, dass ich "Hire and Fire" in Deutschland einführen will. Aber dass man gar niemanden entlassen kann, ohne zum Arbeitsgericht zu marschieren oder hohe Abfindungen zu bezahlen, das ist auch nicht gesund. S TANDARD: Eine der größten Enttäuschungen ist das Scheitern des Aufbaus im Osten. Was ist schief gegangen? Lambsdorff: Manche der ursprünglichen Versprechen waren sicher voreilig, obwohl in der Infrastruktur viel geschehen ist. Der entscheidende Punkt ist, dass wir in Ostdeutschland Arbeitsplätze verloren haben, weil die Arbeitskosten zu hoch sind. Neue Investitionen waren kapitalintensiv, ohne Arbeitsplätze zu schaffen. Schuld war die Politik, die Angleichung der Löhne auf westdeutsches Niveau voranzutreiben. Bei Produktivitätsunterschieden von 30, 40 Prozent sind gleich hohe Löhne für ein Unternehmen nicht zu verkraften. S TANDARD: Lässt sich das reparieren? Lambsdorff: Der Flächentarifvertrag muss eingeschränkt werden. Es muss möglich sein, dass ein starker Betrieb hohe Löhne zahlt und dass ein schlechter niedrigere Löhne zahlt. Sonst macht der schwächere Betrieb Pleite. Immerhin hat Angela Merkel diese Position aufgegriffen und damit die volle Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften aufgenommen. S TANDARD: Was bringt der Hartz-Plan der Regierung? Lambsdorff: Der Hartz-Plan setzt auf bessere Vermittlung. Das ist richtig, bietet aber nichts, womit man Arbeitsplätze schaffen könnte und vermeidet alles, was gewerkschaftliche Interessen negativ berühren könnte. Peter Hartz ist ein tüchtiger Mann, aber er ist ein traditioneller Sozialdemokrat mit einer ganz engen Bindung an die IG Metall. S TANDARD: Sie halten die Verschiebung der Steuerreform für einen Fehler. Hätten Sie also wegen der Flut ein höheres Defizit in Kauf genommen?


Lambsdorff: Nein, unsere Defizite sind hoch genug. Ein Bruch des Stabilitätspaktes wäre absolut inakzeptabel. Aber in einem Haushalt von 250 Milliarden Euro gibt es genug Spielraum fürs Umschichten. Außerdem sollten die nicht benötigten Dollarreserven der Notenbanken in einem gewissen Umfang verfügbar gemacht werden. Darüber sollte man in der EU verhandeln. Eine strikte Ablehnung ist unvernünftig.