Wirtschaftspolitik
Deutsche Konjunktursorgen
Produktionsrückgang im Juli verschärft Situation
Berlin - Mit dem überraschenden Produktionsrückgang
im Juli hat auch der letzte wichtige Wirtschaftsindikator vor der
Bundestagswahl die Konjunkturaussichten in Deutschland weiter
verdüstert. Das Produzierende Gewerbe stellte nach Angaben des deutschen
Finanzministeriums (BMF) vom Freitag saisonbereinigt 1,0 Prozent
weniger her als im Juni. Volkswirten zufolge könnte das Bündel der
zuletzt schwachen Daten Angst vor einem Abrutschen der Wirtschaft in
die Rezession schüren. Für das laufende Quartal sei kaum mit
stärkerem Wachstum zu rechnen und im letzten Vierteljahr 2002 könne
die Wirtschaftsleistung bereits wieder schrumpfen.
Bundesbank-Vizepräsident Jürgen Stark sah die deutsche Wirtschaft in
einem Zustand der "Lethargie".Aktienkurse geben ab
Die Finanzmärkte reagierten nur kurz auf die Daten. Die
europäischen Renten legten kurzzeitig zu, während die Aktienkurse
zeitweise einen Teil ihrer Gewinne abgaben. Volkswirte hatten mit
einem zum Vormonat unveränderten Produktionsniveau gerechnet, nachdem
die Produktion im Juni um 2,0 Prozent gestiegen war. Die Erzeugung in
Westdeutschland sank um 0,8 Prozent, das ostdeutsche Produzierende
Gewerbe stellte 3,5 Prozent weniger her als im Juni. Nach
Reuters-Berechnungen lag das Produktionsniveau im Juli rund 1,9
Prozent unter dem Stand des Vorjahresmonats.
"Entsetzlich", kommentierte Gerd Haßel von der ING BHF-Bank die
Produktionsdaten. "Für die deutsche Konjunktur sind das sehr
schlechte Signale." Nach dem unerwarteten Rückgang der
Auftragseingänge um 0,9 Prozent im Juli habe er mit einem schwachen
Produktionswert gerechnet. Das Wachstum der Gesamtwirtschaft könnte
bereits im laufenden Quartal unter dem Anstieg des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,3 Prozent im zweiten Quartal liegen.
"Im vierten Quartal ist ein Rückgang des BIP zum Vorquartal möglich,
und für das gesamte Jahr erreichen wir womöglich nur 0,2 Prozent
Wachstum." Auch der OECD-Frühindikator für Deutschland signalisierte
mit einem Rückgang im Juli schlechtere Konjunkturaussichten.
"Rezession" - Begriff auf der Tagesordnung
Angesichts schwacher Wirtschaftsdaten und rückläufiger
Frühindikatoren erwarten die meisten Volkswirte inzwischen nur noch
ein Wachstum um 0,5 Prozent in diesem Jahr. "Im Augenblick sehe ich
keinen Anlass für die Erwartung, dass nun der große Schwung kommen
wird", sagte Ralph Solveen von der Commerzbank. Rainer Guntermann von
Dresdner Kleinwort Wasserstein sah nun das Thema "Rezession" wieder
auf die Tagesordnung zurückkehren. Nach dem schwachen Start in das
laufende Quartal dürfte im August die Flutkatastrophe die Wirtschaft
belastet haben, so dass im gesamten Vierteljahr das BIP bereits
schrumpfen könnte. "Das könnte die Angst vor einer
"Double-Dip"-Rezession wieder aufleben lassen", sagte Guntermann. Die
deutsche Wirtschaft war im zweiten Halbjahr 2001 geschrumpft und
insgesamt nur um 0,6 Prozent gewachsen.
Auch Bundesbank-Vizepräsident Jürgen Stark wies auf die Schwäche
der deutschen Wirtschaft hin. "Seit dem Ende der milden Rezession
gegen Jahresbeginn ist die deutsche Wirtschaft nicht über das
Anfangsstadium einer Erholung hinausgekommen und steckt in einem
Zustand, der einer Lethargie ähnelt." Gründe hierfür seien die
schwache Inlandsnachfrage, aber auch ein Schrumpfen des Bausektors
sowie die Folgen von Streiks in der Metall- und Elektrobranche. Das
Vertrauen von Verbrauchern und Anlegern habe unter der Schwäche der
internationalen Aktienmärkte gelitten.
Der Produktionsrückgang im Juli betraf den BMF-Angaben zufolge
fast alle Sparten des Produzierenden Gewerbes. Im Energiesektor sank
die Produktion um 3,5 Prozent zum Vormonat. Das Bauhauptgewerbe
produzierte dagegen 0,6 Prozent mehr. Die Industrieproduktion
schrumpfte um 0,9 Prozent. Dabei wurden 0,7 Prozent weniger
Vorleistungsgüter, 1,4 Prozent weniger Investitionsgüter und 0,6
Prozent weniger Konsumgüter hergestellt. Im weniger
schwankungsanfälligen Zweimonatsvergleich Juni/Juli zu April/Mai nahm
die Industrieproduktion wegen des deutlichen Anstiegs im Juni um 0,7
Prozent zu. Zum Vorjahreszeitraum bedeutete dies den Angaben zufolge
einen arbeitstäglich bereinigten Rückgang um 2,0 Prozent. (APA/Reuters)