Wien - Am Anfang: Die routinierte Vorbereitung einer Hinrichtung. Ein in langer Übung eingespieltes, emotionslos abgespultes Verfahren - und ein Zusammenbruch. Drei Gefängniswärter - Großvater, Vater, Sohn - sind nachher zusammengesperrt in eine ganz private Familienhölle.
Das wäre die eine Geschichte: Ein junger Mann (Heath Ledger), der die Tötungsrituale, auf die man ihn eingeschworen hat und auf denen etwa sein Großvater (Peter Boyle) noch mit alttestamentarischer Wucht beharrt, nicht mehr vollziehen kann. Zwischen den Extremen wiederum: Der Held des Films, Hank Grotowski (Billy Bob Thornton), geprägt noch vom archaischen Gestus der Alten, gleichzeitig aber angekränkelt von einer Gleichgültigkeit und Absurdität, die alles, was er tut, seelenlos und lustlos erscheinen lässt: Die ersten Sexszenen in Monster's Ball sind beiläufig wie jede andere Verrichtung in Beruf und Alltag.
Und dann wäre da die zweite Geschichte, oder, wie Hanns Zischler kürzlich in der Zeit schrieb, "fast ein neuer Film": Grotowski verliebt sich in die (von Halle Berry dargestellte) Witwe des von ihm Hingerichteten - obwohl man zwischen verzweifelten und später lüsternen Schreien kaum mehr erahnt als die Möglichkeit einer Befreiung.
Monster's Ball durchleuchtet also einmal mehr "the same old story" und vertraute Konstellationen. Einen Männerbund, eine US-amerikanische Fragmentfamilie, deren Generationenverträge nicht länger halten. Eine Gesellschaft, in der die Verächtlichkeit und die Verachtung zwischen den Kulturen und Geschlechtern weiterhin nicht bewältigt sind.
Und: die Frage, wie man über all das erzählt, wohlgemerkt in Zeiten, in denen etwa die US-Literatur Meisterwerke wie Philip Roths Der menschliche Makel hervorbringt. Zeiten, in denen die Popmusik bereits die Risse in der Bedienung eines politisch aufgeklärten Publikums offen thematisiert, etwa wenn sich ein Star wie Eminem "schwarzer" Inszenierungsmuster bedient. "Hingerichtet" wird im Film übrigens der Rapper Sean Combs, besser bekannt als Puff Daddy oder P. Diddy. Jetzt soll man erkennen: Er kann zivilisiert "schauspielen".
Hollywoods Limits
Vor solchem Hintergrund wirkt Hollywood, wo es immer noch eine Sensation ist, dass Halle Berry einen Oscar erhielt, eindeutig am einfältigsten. Und nur sehr bedingt liberal: Das Drehbuch zu Monster's Ball wurde dem Vernehmen nach von mehreren Studios begutachtet und dann als zu riskant abgelehnt. Erst die Bereitschaft, mit geringem Budget und dennoch einigermaßen populären Darstellern zu drehen, ermöglichte es dem jungen Regisseur Marc Forster, den Film zu realisieren.
Dass Forster wiederum Schweizer ist und damit den distanzierten Blick eines "Exilanten" hat, wie einst ein Fritz Lang oder Billy Wilder, kommt aber dem formalistischen Gestus des Drehbuchs entgegen. Monster's Ball ist zuallererst ja tatsächlich, wie Hanns Zischler schrieb, ein "Film wie eine Schachpartie" - ein Genrespiel, das die "Bestie Mensch" über bekannte Spielzüge (und deren minimale Abwandlungen) berechnet: vom Cop- und Gefängnisfilm bis hin zum mehr oder weniger spekulativen Prinzip Hoffnung, das bei der Oscar-Verleihung rund um die vor Glück schluchzende Halle Berry weiter zelebriert wurde.
Man kommt also nicht umhin, Monster's Ball vor allem im Kontext des US-Kinos zu bewerten - und ihn abseits seiner formalen Qualitäten auch als ein Beispiel für jene Mechanismen und Anachronismen zu sehen, die gegenwärtig die US-Bewusstseinsindustrie prägen.
Filme wie dieser wären früher (etwa zu Zeiten des Film noir) Bestandteil der routinierten Serienproduktion jedes Studios gewesen. Heute sind sie rare Aushängeschilder. Früher (in den 60er- und 70er-Jahren) gab es für Regisseure wie Norman Jewison (In der Hitze der Nacht) selbstverständliche sozialkritische Schienen. Heute ist jeder derartige Film und/oder "kleine" Thriller beinahe ein Wunder. Kürzlich wurde im Branchen- magazin Variety etwa fast stolz vermeldet, dass "No-Nonsense"-Genreregisseure wie Walter Hill (Nur 48 Stunden) überhaupt noch arbeiten.