Celle - Im Strafprozess um die ICE-Katastrophe von Eschede haben am Mittwoch erstmals Überlebende des Zugunglücks ausgesagt. Ein Zugbegleiter des ICE 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" schilderte dem Gericht in Celle unter Tränen die dramatischen Sekunden des Unglücks: Plötzlich habe es einen "einzelnen metallenen Schlag" gegen die Unterseite des Zuges gegeben, sagte der 54-Jährige. "Dann kehrte völlige Ruhe ein." Der Hochgeschwindigkeitszug sei zunächst stabil weitergefahren, bevor es zu der Katastrophe kam. Ein Passagier habe ihn nach dem ersten Schlag gebeten, nach vorne zu kommen, sagte der Zugbegleiter. Gemeinsam hätten sie noch den Durchgang von Wagen 2 zu Wagen 1 erreicht. "Dann gab es einen Stoß. Ich wurde zwei bis drei Meter durch die Luft geschleudert", sagte er. "Ich war total überrascht, dass von vorn die Sonne in den Wagen schien und der Triebkopf nicht mehr da war. Da braucht man ein bisschen, dass man das verarbeiten kann." Nur Wagen 1 und 2 waren beim Unfall weitgehend unbeschädigt geblieben. Aussage des Lokführers Er habe er auf eigene Verantwortung den orientierungslosen Reisenden die Türen geöffnet, damit sie sich in Sicherheit brachten. Dann habe er bei der Versorgung der Verletzten geholfen. Der Zeuge ist mittlerweile frühpensioniert. Nur er und der Lokführer überlebten als Bahnmitarbeiter in dem Zug das Unglück. Der Lokführer des ICE 884 hatte zuvor ebenfalls vor dem Landgericht Lüneburg in Celle ausgesagt: Er habe am 3. Juni 1998 im Führerstand vom Unglück fast nichts mitbekommen. "Ich habe nur einen Ruck gespürt", sagte der 61-Jährige sichtlich bedrückt bei seiner Schilderung. "Plötzlich fiel der Strom ab, dann bekam ich eine Zwangsbremse." Er habe versucht, den Zug wieder mit Strom zu versorgen. Über Funk habe ihn der Fahrdienstleiter vom Bahnhof Eschede dann über die Katastrophe informiert. "Du bist hier allein vorbeigefahren. Du bist entgleist." Der Triebkopf hatte sich vom Zug gelöst und war noch rund zwei Kilometer weiter gerollt. Unfallsursache Nach Worten eines leitenden Bundesgrenzschutz-Ermittlers sei der Radreifen als Unfallursache schon wenige Stunden nach dem Unglück klar gewesen. Beim Anheben des ersten Waggons des Unglückszuges mit einem Kran sei den Beamten der im Drehgestell verkeilte Radreifen aufgefallen, sagte der Leiter des Ermittlungsdienstes des Bundesgrenzschutzes (BGS). Mit einer Brechstange sei das aufgedrehte Metallteil herausgehebelt worden. Zunächst hatten die Ermittler auch in Betracht gezogen, das auch ein Autounfall auf der eingestürzten Brücke als Unglücksursache in Frage kommen könnte. In dem Verfahren sind drei Ingenieure wegen fahrlässiger Tötung in 101 Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in 105 Fällen angeklagt. Sie sollen die Belastbarkeit des Radsystems bei der Einführung 1992 nicht ausreichend geprüft haben. Der Prozess wird am kommenden Dienstag mit weiteren Aussagen zur Unglücksfahrt fortgesetzt. (APA/dpa)