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Der britische Premier Tony Blair (Maskenträger links) hatte sich von US-Präsident George W. Busch (Maskenträger rechts) einiges vorzuschreiben. Ein symptomatisches Bild für das Verhältnis zwischen Europa und den USA.

foto: reuters/MacDiarmid
DER STANDARD: Brauchen wir heute noch die Nato? Moreau Defarges: Oh ja, sicher. Sie ist in erster Linie das Instrument der politisch-militärischen Präsenz der USA in Europa. Und dieses Instrument wird so lange bestehen, wie die Amerikaner als Garanten der Sicherheit in Europa angesehen werden. Kann die Nato aber eine Rolle außerhalb Europas haben? Ich denke nein. Erstens müsste man dann den Vertrag ändern, der den geographischen Raum der Allianz festlegt; zweitens würde die Nato dann der UNO Konkurrenz machen als friedenserhaltende Kraft. DER STANDARD: Eine Beteiligung der Nato an einem Angriff gegen den Irak ist also ausgeschlossen? Moreau Defarges: Ich habe keine Kenntnis von solchen Überlegungen, aber würde man so etwas ins Auge nehmen, gäbe es schwerwiegende juristische Probleme. Das ist unmöglich. DER STANDARD: Dennoch hat sich die Nato mit der Ausrufung des Verteidigungsfalles nach dem 11. September doch eine globale Rolle zugemessen? Moreau Defarges: Ja und nein. Die Anwendung des Artikel 5 war gerechtfertigt, weil das Territorium eines verbündeten Mitgliedsstaates von außen angegriffen worden war. Der Interventionsfall war also gegeben. Aber Sie haben Recht, die Frage der Verteidigung ist nicht so einfach, da der Angriff aus einer nicht-europäischen Zone kam, wahrscheinlich aus Afghanistan. Im Fall des Iraks ist das anders. Hier kann man nicht von einer Aggression gegen Europa oder die USA sprechen. DER STANDARD: Welchen strategischen Einfluss hat die Nato heute noch? Moreau Defarges: Klar ist, die Rolle der Nato in Europa ist heute radikal abgewertet. Aber der 11. September hatte daran nicht einmal großen Anteil. Da es keine massive Bedrohung mehr in Europa gibt wie zu Zeiten der Sowjetunion, muss sich die Nato grundlegend reformieren. Die Osterweiterung der Nato war ein erster Schritt. Die Atlantische Allianz muss zu einem System der kollektiven Sicherheit werden. DER STANDARD: Die USA drängen auf den Beitritt weiterer Staaten aus Osteuropa. Welches Interesse steht dahinter? Moreau Defarges: Die USA wollen nicht mehr der militärische Schutzherr Europas sein, Washington hat heute zu viele andere Verpflichtungen in der Welt. Was sie wollen, ist ein neues europäisches Sicherheitssystem, in dem sie die Rolle des Wächters spielen, des Schiedsrichters - das war immer der Traum der Amerikaner. Die Europäer sollten in diesem neuen System durch einen gemeinsamen Pakt verbunden sein mit immer mehr Staaten Zentraleuropas und eines Tages auch mit Russland. Die Organisation der Nato muss neu überdacht werden - zusammen mit den USA. Es kann keine europäische Sicherheit ohne die Amerikaner geben. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 3.9.2002)