"Keine Schmerzen, Rocky, keine Schmerzen."

(Rocky IV)

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"Das tut mir schon sehr weh."

Max ist fertig. Die eingetrockneten Schweißränder zeichnen wirre Linien am Kragen seines Renn-Overalls. Die Haare kleben klitschnass auf der Stirn. Die Fäuste in die Hüfte gestemmt steht er da, der Bär von einem Mann, schaut, schüttelt den Kopf. Ein Trauergast, Marke Remus-Kapperl auf Vokuhila-Frisur, stellt sich ein. "Wos is' los?" "Die Hinterachs", diagnostiziert Max knapp. "Jetzt is vorbei," sagt das Remus-Kapperl. "Jetzt is' vorbei," echot Max. Er wischt sich mit der flachen Hand den Schweiß aus dem Gesicht. "Jetzt is' vorbei."

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Max ist Autocrasher.

Genauer: Max WAR Autocrasher. Für heute zumindest. Ein Kontrahent hat sich mit Vehemenz in das Heck seines Wagens eingebaut. Der zentimeterlange Riss in der Felge seines Hinterrads ist mehr als nur ein Souvenir. Es ist das Ende.

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Am Haken eines Traktors

ins Fahrerlager zurückgeschleppt, bleibt ihm ab sofort nur noch die Zuschauerrolle. "Da kann man halt nix machen."

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Doch Max ist kein Schwerenöter.

Kurz nach der fatalen Diagnose hat der 34-Jährige wieder Grip unter den Rädern. Der Schlosser aus Ybbs ist Neueinsteiger. Die ersten Meriten hat er sich bereits verdient. "Gleich beim ersten Rennen bin ich Siebter gworden," wirft sich Max in die Brust. Jetzt hat er sein eigenes Auto. Das war erst sein drittes Rennen. Die Zeichen stehen auf Karriere.

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Doch Roseldorf war nicht sein Kurs.

Roseldorf bei Stockerau bei Korneuburg bei Wien. Tiefstes Niederösterreich. Fünfte Etappe der österreichischen Auto Crash Staatsmeisterschaften. Mitten in den sanften Hügeln des Weinviertels gab das Gelände eines aufgelassenen Ziegelwerks vergangenes Wochenende den Rahmen für ein Hetzerei der schmutzigeren Kategorie.

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Die Daten:

Autocrash kommt, nona, aus den USA. Seit zwanzig Jahren wird hierzulande gecrasht. Gefahren wird auf Naturgrund, Format Rundkurs. Sicherheit hat Vorrang: Vierpunktgurt, Renn-Overall, Helm, Überrollkäfig sind obligo. Zwei Renn-Divisionen bilden das Rückgrat der Liga:

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Division Seriennah – "Die Waachn".

Vier Motorgruppen zwischen 1500 und 2300 ccm. Keine Rammvorrichtung. Seitliches Abdrängen während des Rennens ist erlaubt.

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Division Crash Spezial – "Die Hoatn".

Vier Motorgruppen zwischen 1400 und 2400 ccm. Rammvorrichtung. Panzerung. Direktes, frontales, gemeines, hinterhältiges, ekstatisches, selbstentleibendes, devastierendes Crashen ist erlaubt. "Grundziel eines jeden Fahrers ist es, das Ziel als erster zu erreichen." (Regelwerk, Dachverband Autocrash) Dieses Ziel mit implizitem Grundziel sollte man über Qualifikation, Vorläufe, Finale und Superfinale beherzigen. Dann winken Tagessieg, Punkte für die Meisterschaft und Preisgeld.

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Die Fakten:

Vergessen Sie diese Regeln. Was in Roseldorf vor Hunderten johlenden, kreischenden, feixenden Zusehern in Szene ging, ist die banale Minimalisierung der Evolutionstheorie auf ein schlichtes "Ich oder er. Im Zweifelsfall immer ich. Und das mit Schmackes." Alles eine Frage der kontrollierten Selbstzerstörung.

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Nur die Rennleitung

weiß den fließenden Übergang zwischen "abdrängen", "kollidieren" und "ausradieren" hinreichend zu interpretieren. Bei Verstößen werden Strafen bis hin zur Disqualifikation ausgesprochen.

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Mehrere Streckenposten

sind an den neuralgischen Punkten der Strecke postiert, über Funk halten sie Verbindung zum Rennleiter. Die Flaggenchoreographie der Streckenposten ist Gesetz, samt und sonders sind sie bärbeißige Profis mit eingebauter Autorität. Gelbe Flagge: Vorsicht. (Kannst aber ruhig weiterbröseln. [Anm.d.Übers.]). Rotes Kreuz auf weißem Grund: Alle Stopp. (Stopp heißt SOFORT Stopp, nicht irgendwann Stopp, du Trottl. [Anm.d.Übers.]). Schwarze Flagge: Rennabbruch. (Alle Autos zerbirnt. [Anm.d.Übers.])

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Für Außenstehende

ist das alles definitiv Geheimwissenschaft. Doch das Chaos aus aufpeitschendem Dreck, ploppenden Fehlzündungen, japsenden Motoren und knirschendem Blech entlässt jeden Crasher wohlbehalten zurück ins Leben.

Das "Safety First" des Reglements

ersetzt bei Geschwindigkeiten bis zu 100 km/h die Lebensversicherung: Egal wie hoch sich die böse ineinanderverkeilten Boliden auch türmen – immer wieder schlüpfen die Fahrer wie benommene Schmetterlinge aus ihren zerknitterten Blechkokons.

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"Des is a wos für die Kinder,"

kommentiert er das Ballyhoo auf der Strecke. Er, der Fan. Extra angereist aus Wien. "Für die Kinder is des a Erlebnis, do is a Action, do segns wos von die Autos im Fahrerlager. Wie des olles funktioniert. Supa." Von seinem Feldherrenhügel herunter philosophiert er über den Reiz von Veranstaltungen dieser Art. Vor sechs Jahren war er das erste Mal dabei. Welche Klasse ihm am besten gefalle?

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Des einen Freud, des andern Schweiß.

Besonders die "Waachen", also die Boliden ohne Rammschutz, lassen die Mechaniker in der Boxenstraße oft zu Schweißgerät, Rohrzange und ...

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...Vorschlaghammer greifen.

Dieses Brachialwerkzeug erfreut sich bei den Leider-Nein-Feinmechanikern besonders großer Beliebtheit. Ein paar Mal in den lädierten Kotflügelbogen hineingedroschen, kurzer Kontrollblick: Passt.

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Auch beim Motormanagement

wird oft und gern die hohe Schule des Improvisierens gepflegt. Hier wird konzentriert gearbeitet, nur ab und an werden milde Frustmomente ("Dreckskoarrn") in dezente verbale Eruptionen ("XXXXXX") gegossen.

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Um die angeschlagenen Kisten

zwischen den einzelnen Läufen fit zu bekommen, wird mitunter sogar vor dem Einsatz der großen Flex nicht zurück geschreckt. Das alles begleitet vom Fachkommentar der umstehenden "Na-Na-Na, moch des ned"-Auguren – ein Knochenjob.

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Autocrash ist Teamsport.

Die Fahrer reisen mit einem Tross an Freunden, Bekannten, Kindern und Fans an. Sie alle schlüpfen in die Rolle des Mechanikers, Schulterklopfers, Ratgebers, Lastenträgers, Alleinunterhalters und ...

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...Verpflegungspersonals,

um dem Race-Crack ein optimales Umfeld zu bieten. Die Fahrer sind in Vereinen organisiert, jeder Klub stellt pro Rennen zwischen vier und sechs Autos. Nukleus der größeren Klubs ist die eigene Werkstatt. Hier verwandeln sich um den Kilopreis angeschaffte Schrottautos in konkurrenzfähige Schlammsauger. Fahrwerk, Bereifung, Motorisierung – nach oben gibt es kein Limit. Dennoch: Der Einstieg in die Crash-Liga ist überraschend günstig.

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"Mit 1.000 Euro ist man schon gut dabei".

Peter Hulak weiß wovon er spricht. Zwei Rennställe hören auf sein Kommando. In Roselsdorf gibt Hulak den Rennleiter. Sein Wort ist Gesetz. Schrottauto, Rennsitz, Helm, Lenkung und Overall sind die Grundausrüstung, rechnet der graumelierte Mittfünfziger vor. Dazu Material für Überrollkäfig und Motorverbau – Fertig ist der Okkasions-Crasher. "Der Umbau ist natürlich von der Arbeitszeit her das Teuerste, aber das rechnet ja niemand. Ist ja alles Eigenbau." Und der sei in zwei Tagen erledigt. "Längstens", zwinkert er im Weggehen. Das nächste Rennen wartet. Hulak muss zurück. Zurück in ...

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...Hulaks Reich.

Hoch über dem Roseldorfer Oval wacht der Rennleiter gemeinsam mit seinen Schriftführerinnen über den ordnungsgemäßen Ablauf, koordiniert Feuerwehr, Traktorfahrer, Streckenposten und die insgesamt 86 Fahrer, spricht Verwarnungen und Disqualifikationen aus, wickelt kurz aber intensiv mit uneinsichtigen Disqualifzierten und verteilt via Lautsprecher publikumswirksame Rüffel an zu spät antretende Fahrer ("Wen du beim Sex auch so lang brauchst, wird sich deine Frau aber freuen.") Die Fans rasen.

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Dann rasen die Racer.

Start ... und genau zwo-komma-sechs-vier Sekunden später ...

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Die Freiwillige Feuerwehr Roseldorf,

gerade zurück aus dem Katastrophen-Einsatz, gibt sich auch bei den Aufräumarbeiten in der Heimat keine Blöße.

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Einer ist diesmal nicht dabei.

Eugen Schantl, das Urgestein der hiesigen Autocrash-Szene. Seit 18 Jahren baut er sich in die Konkurrenz ein. In Roselsdorf scheiterte er in der Qualifikation. "Aber beim nächsten Mal schaff ich´s wieder", gibt sich der Burgenländer zuversichtlich. Ein Engagement, das beim Enthusiasmus der Wochenend-Cracks nicht weiter verwundern würde. Doch bei Schantl sind andere Maßstäbe anzusetzen: Schantl ist 78 Jahre alt. Ältester Autocrasher der Welt: Guinnessbuch-Eintrag.

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Da ist die Frage nach den letzten Dingen nicht vermessen.

"Warum ich das noch immer mache?" Der Crash-Oldie lacht über beide Ohren. Doch dann schaltet er auf "konspirativer Unterton" herunter. "Hören Sie! Es geht um die Beherrschung eines Kraftfahrzeugs im Grenzbereich," deklamiert er hinter seinem erhobenen Zeigefinger hervor, "um die Beherrschung eines Kraftfahrzeugs im Grenzbereich."

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Autocrash als Mission.

Eugen Schantl ist Jesuit in Sachen Autocrash. Sohn, Enkel, selbst der achtjährige Urenkel waren oder sind der Sucht verfallen. Der kleine Konstantin soll die große Schantl-Historie um den ein oder anderen Schmuckstein bereichern. Einen Crash-Käfer hat er bereits, das Burgenland wird zu Übungszwecken heftig beackert. Auch seine Frau sei gefahren, betont Schantl. So richtig glücklich wurde sie mit dem exaltierten Hobby des Gatten jedoch nie. "Aber zum Schluss hat sie's eing'sehn."

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"Ein'gsehn" hat es für diesmal auch Max.

Der gleich zu Beginn ausgeknockte Rookie ist mittlerweile wieder in aufgeräumter Stimmung. Der Renntag neigt sich dem Ende zu. Zeit für ein Resümee: "Ich mach auf alle Fälle weiter. Autocrash ist einfach ...", Max horcht kurz in sich hinein, "Autocrash ist einfach Selbstbetätigung. Schade, dass die Freundin nie mitkommt. Das tut wirklich weh." Max hat ein acht Monate altes Kind. Max hat auf seinem Overall einen Aufnäher. Darauf steht seine Blutgruppe. A-Negativ. (kommunikaze)

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