Es ist fast 23 Uhr und noch lange nicht dunkel. Die Tannen auf der anderen Seite des Sees stehen schwarz vor einem blassen Himmel und über dem Holzfeuer röstet ein Berg von kleinen Fischen.

Die Saunaaufgüsse und der anschließende Sprung in den moorigen See haben die Haut zum Prickeln gebracht, das Bier, Marke Lapin Kulta, zischt die Kehle hinunter, und ein ausgedehntes Abendessen in der Blockhütte kann beginnen: mit Lachsen, die leise über der rauchigen Glut schmurgeln, mit Rentierschinken und Wacholdersauce, Moorhuhn-Mousse mit Preiselbeergelee, Geschnetzeltem vom Elch und einer Heidelbeertorte als Dessert.

Es ist gleich, wie spät man in Finnland im Sommer aufsteht, denn schlafen geht man ohnehin nicht, bevor die Sonne untergeht, und das tut sie auch im August erst spät, sehr spät in der Nacht. August, sagen die Finnen, sei die zweitschönste Zeit, um am Polarkreis Urlaub zu machen. Die schönste Zeit, meinen sie, sei der arktische Winter, wenn die Nordlichter glühen und beleuchtete Loipen zum Langlauf locken. Wenn die Kälte beißt und zurück in der Hütte das offene Feuer prasselt.

Aber im Sommer sei eindeutig der schönste Monat der August. Der Stress mit den Johannisfesten und Mittsommer- nachtstänzen ist dann vorbei, und trotzdem sind die Tage so lang, dass man sie getrost in der warmen Sonne vor der Hütte vertrödeln kann, um dann am Nachmittag, wenn es kühler ist, noch zu einer Tour aufzubrechen. Eine solche führt beispielsweise mit offenen Kanadierbooten den Oulankajoki hinunter.

Der Oulankajoki ist ein Fluss, der sich in der Nähe der kleinen Stadt Kuusamo in einem tief eingeschnittenen Tal durch den Oulanka-Nationalpark schlängelt, um später die Grenze zum russischen Teil Kareliens zu überqueren und ins Weiße Meer zu münden. Im Oberlauf durchbricht der Bach immer wieder Felsensperren, durch die er sich in eindrucksvollen Wasserfällen den Weg bahnt. Hinter dem letzten dieser Rapids, den 14 Meter hohen Kjutaköngäs-Fällen, wird der Oulankajoki zahm, ein ideales Gewässer für geruhsames Paddeln in Zweierkanus.

Trockene Kleidung, Fotoausrüstung und Schlafsäcke sind in wasserdichten Tonnen verstaut. Der Fluss mäandert durch sandiges Gelände mit Bäumen und Büschen und Rentierfamilien, die die Kanufahrer erstaunt beäugen. Zwei Tage kann man so durch die Einsamkeit fahren, an Feuerstellen Rast machen und an einem Lagerplatz übernachten. Sogar die Verpflegung lässt sich selbst beschaffen. Die Gegend ist voller Beeren und Pilze, die jedermann in den endlosen Wäldern Finnlands ohne Einschränkung sammeln kann. Es gibt Familien in Helsinki und anderen Städten, die im August auf eine Woche in den Norden fahren, um sich dort mit selbst getrockneten Pilzen und Heidelbeermarmelade für den Winter einzudecken.

Die Kanufahrt auf dem Oulankajoki wird begleitet vom Bärentrail, einem 80 Kilometer langen, markierten Wanderweg durch den 270 Quadratkilometer großen Oulanka-Nationalpark, der sich im Osten im russischen Nationalpark Paanajärvi fortsetzt. Der Bärentrail kann auch auf Teilstücken begangen werden und führt über bewaldete Bergkuppen, auf Knüppelstegen durch Moore und auf schwankenden Hängebrücken über die Bäche.

Übernachtet wird unter einfachen Schutzdächern, aber wir sind froh über unsere Schlafsäcke und ein leichtes Zelt. Die Mücken werden zwar vom Rauch des Lagerfeuers vertrieben, aber das Moskitonetz beim Zelteingang ist doch beruhigend. Das Essen bereiten wir auf dem mitgebrachten Gaskocher zu, die Abfälle nehmen wir - das ist im Nationalpark selbstverständlich - im Rucksack mit.

Zentrum der Freizeitregion im südlichen Lappland ist die kleine Stadt Kuusamo mit Flughafen, 18.000 Einwohnern, 11.000 Rentieren und 6000 Sommerhäusern. 25 Kilometer nördlich davon liegen die Hügel von Ruka, einem Sportzentrum mit Liften, Skipisten, einer Sprungschanze und einem Netz von 400 Kilometern Langlaufloipen und Hundeschlittentrails. Im November startet hier der nordische Skiweltcup, im Jahr 2005 wird die Freestyle-Weltmeisterschaft ausgetragen.

Auch jetzt im Sommer ist Ruka ein Kuriosum: Auf vierrädrigen Crossbikes knattern wir die Familienabfahrt zur Bergstation des Skilifts hinauf, zurück geht es in der kurvigen Blechrinne einer Sommerrodelbahn. Zudem hat der Ort ein ungewöhnliches Hotelexperiment zu bieten. Das "Rukan Omena" verfügt über hundert minimalistisch designte Kleinstwohnungen, in denen bis zu vier Personen schlafen und sich selbst versorgen können. (Horst Christoph/DER STANDARD, Printausgabe, 26. 07. 2002)