Wien - "Weil man geliebt werden möchte", gehe man in die Politik, so lautet die Diagnose der angehenden Psychotherapeutin Maria Rauch-Kallat am Weltkongress für Psychotherapie in Wien. Dass es dann meist ganz anders ist, weiß die VP-Generalsekretärin aus eigener Berufserfahrung: Der Beruf des Politikers habe mit kritikloser Zuneigung und Wohlwollen sehr wenig zu tun, er bringe viel mehr eine Vielzahl an psychischen Krisensituationen mit sich - und das sei nur wenigen bewusst.Rauch-Kallat nennt dabei, abgesehen vom Alltagsstress beruflicher Doppelbelastung, den permanenten Erfolgsdruck. Auch hätten Politiker aller Ebenen mit der hohen Erwartungshaltung der Öffentlichkeit zu kämpfen. Die VP-Generalsekretärin: "Die große öffentliche Aufmerksamkeit macht ein Privatleben oft nur schwer möglich." Durch den Einzug des "American Way of Politics" werde das Familienleben plötzlich ausschlaggebend für Wahl(miss)erfolge, und es gebe neue, sehr entscheidende Fragen wie: "Wie viel Angst darf ein Politiker zeigen? Was machen seine Kinder?" Öffentlicher Hohn für private und politische Krisensituationen sind dem Beruf immanent, und das schlechte Image von Politikern sei ohnehin schon "notorisch", so Maria Rauch-Kallat, die hier eine Parallele zur Psychotherapie sieht. Doch wann ist therapeutische Unterstützung für Politiker angebracht? In Situationen großer Krisen, so die VP-Generalsekretärin, sei es Zeit, Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Und den Mut zu haben, dazu zu stehen. Gegen den Strom Alternativen zur Krisenbewältigung seien für die Berufspolitikerin mit 20-jähriger Erfahrung ein Präventivcoaching, um sich erst gar nicht in Gefahr zu begeben, Fehler wie das "Öffnen privater Türen" zu begehen. Ein weiterer Rat an ihre eigene Kaste: sich ihre äußere und innere Unabhängigkeit vom politischen Amt zu bewahren, sich von vorherrschenden Strukturen und inneren Emotionen also nicht vollkommen vereinnahmen zu lassen. Auch hätte sich das Schwimmen gegen den Strom politischer wie innerparteilicher Meinungstendenzen zwar als hart, aber lehrreich für die spätere Bewältigung von Krisen bewährt. Auch "wenige, wirkliche Freunde und Vertraute" seien für Spitzenpolitiker unabkömmlich, um sich privaten Freiraum und unabhängige Kontakte zu wahren. Frei nach dem Motto "Feind - Todfeind - Parteifreund" sei dieser Punkt gar nicht hoch genug zu bewerten. Zahlreichen Politikerpartnern werde die Belastung einer öffentlichen Dimension ihrer Beziehung zu viel, da allmählich auch Kinder oder der Gesundheitszustand der Familie zum Thema gemacht würden. "Anstatt Professionalität wird die Privatsphäre von Politikern in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses gestellt", kritisierte Rauch-Kallat. Dass dies weder Politikern, die über "ein gesundes Verhältnis zur Macht, Kontrolle über sich selbst und den Willen zur Veränderung" verfügen sollten, noch der Qualität des politischen Diskurses gut tut, liege auf der Hand. Frauen in der Politik stünden besonders im Blickfeld der Öffentlichkeit. Sie hätten auch in diesem Betätigungsfeld mit dem Vorwurf der Vernachlässigung familiärer Pflichten zu kämpfen. Die Doppelbelastung von Beruf und Familie könne sich als Hinderungsgrund für eine Politkarriere herausstellen. Ein weiterer Nachteil, den Rauch-Kallat sieht: Frauen würden oft ihre Kompetenzen abgesprochen: "Sie gelten als ,Begleiterscheinung' ihrer männlichen Kollegen." (Julia Valsky /DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 7. 2002)