Conchita Wurst ist seit Wochen – seit Monaten – Zielscheibe bemerkenswerter Untergriffe. Bezeichnungen wie "ekelerregend", "Schande für Österreich" oder "erbärmlich" klingen da wie Koseworte. Unerwähnt seien hier jene unaussprechlichen Wörter, die eine übermäßig aufgebrachte Menge in regelmäßigen Wellen von "Shitstorms" in diversen Social Media deponiert. Jegliche Geschmacksgrenze wird unterschritten. Es gibt kein Halten mehr. Aber warum eigentlich?

Konzepte und Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sind mediale Dauerbrenner. Erinnern wir uns 2008 an Angela Merkel? Ihr tief dekolletiertes Ballkleid sorgte für große Aufregung – die sie selbst, wie sie betonte, nicht recht verstand. Weltweit stand dafür die Presse Kopf, jedoch wusste eigentlich niemand, warum. Die Erklärung liegt auf der Hand. Die Tatsache, dass die deutsche Bundeskanzlerin Weiblichkeit inszenierte, war Grund genug.

Machtpositionen verschieben sich

Wir leben in einer höchst ambivalenten Gesellschaft, wo nun nicht mehr ausschließlich der Patriarch (ist gleich Mann) regiert. Machtpositionen verschieben sich. Zurzeit allerdings lediglich zugunsten jener, die bereit sind, das männliche Prinzip hochzuhalten. Weiblichkeit erfüllt da eine wichtige Funktion: Sie repräsentiert und bestätigt nach wie vor die andere Seite der Macht.

Was also so harmlos komplementär (bzw. gleichwertig) erscheint, ist zutiefst hierarchisch verwurzelt. Weiblich in Erscheinung zu treten ist im Zusammenhang mit Macht und Einfluss fragwürdig. Germany's Next Topmodels beispielsweise dürfen (bzw. sollen) schön weiblich sein. Sie klammern sich weinend und zitternd aneinander, wenn die strenge "Madame" über "Foto" oder "leider kein Foto" entscheidet.

Diese Form der Zuweisung eines gesellschaftlichen Platzes läuft nach wie vor wie geschmiert. Denn die zukünftigen Topmodels lernen sich unterzuordnen. Ihre Weiblichkeit dient sich an. Sie sind aufgefordert, sich innerhalb eines relativ abgesteckten Rahmens zu bewegen. Sind schmückendes Beiwerk. Stichwort Spielerfrau. Die deutsche Kanzlerin hingegen kann es sich nicht leisten, in die Nähe solcher Zuschreibungen zu kommen. Sie muss das männliche Prinzip verkörpern. Sonst kommt es zum Skandal. Ihre Machtposition geriete ins Wanken. Bitte, wie kann sie denn nur?!

Was hat das aber nun mit Conchita Wurst zu tun?

Die pfeift auf ihre Wurst (die sie ja grundsätzlich bequem für ihre Zwecke nützen könnte). Und dreht den Spieß einfach um. Das ist unerhört. Sie nimmt sich einen Platz, der ihr nicht zugedacht ist. Sie inszeniert sich als Mann – angetan mit jeder Menge weiblicher Attribute – und stört mit ihrem Bart und ihrer Stimme die hierarchische Ordnung von Männlichkeit und Weiblichkeit ganz gewaltig. Sie dient sich nämlich nicht dem männlichen Prinzip an, sorgt lediglich für unklare Verhältnisse.

Und sie tut es schlicht um ihrer selbst willen. Sprengt die Grenzen. Frauen, die vermännlicht in Erscheinung treten? Ist o. k. Mehr noch. Es ist notwendig, um in der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung an Macht und Einfluss zu gewinnen. Ein weibliches Erscheinungsbild hingegen – als männliches Wesen? Eine Zumutung. Mädels, geht's zum Girl's Day! Das geht. Buben, die auch mal als Prinzessin in den Kindergarten gehen wollen? Geht gar nicht. Selbst die aufgeklärtesten Eltern raufen sich da die Haare.

Untergraben der männlich-weiblichen Ordnung

Conchita untergräbt auf so unverschämte Art und Weise eine weiblich-männlich-Ordnung, die so einzementiert ist, dass wir es selbst gar nicht mehr merken. Nur so lässt sich dieser höchst irrationale Sturm der Entrüstung erklären. Denn es ist eines der größten gesellschaftlichen Tabus: verweiblichte Männlichkeit. Die ist schlicht pervers. Die Wurst kratzt somit ganz schön am Lack der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung. Und nimmt sich einen Platz, der ihr schlichtweg nicht zusteht. Auch wenn es sich eigentlich nur um den Song Contest handelt. Was erst, wenn sie Bundeskanzlerin werden wollte? Da wäre die Hölle los. Vertiefende Reflexionen wären wünschenswert. (Leserkommentar, Norbert Pauser, derStandard.at, 24.3.2014)