Brosz (li.), Kanzler Werner Faymann: So sah STANDARD-Fotograf Matthias Cremer 2012 eine Dringliche Anfrage der Grünen zum ORF.

foto: standard/cremer

STANDARD: Die Grünen achten derzeit besonders genau darauf, wie viele Sekunden welche Partei in den ORF-Nachrichten vorkommt. Sie protestieren in den vergangenen Wochen besonders heftig, wie lange SPÖ und ÖVP vorkommen.

Brosz: Ich habe ja grundsätzlich etwas gegen dieses Groscherlzählen. Das geht mir fürchterlich auf den Geist. Uns wäre am liebsten, der ORF würde ausschließlich nach journalistischen Kriterien entscheiden, was in Sendungen kommt und was nicht. Aber weil wir Grünen grundsätzlich nicht intervenieren wollen, müssten wir auf Dauer zuschauen, wie der Regierungsanteil immer mehr wird.

STANDARD: Und Sie meinen, der ORF geht hier nicht journalistisch vor?

Brosz: Die Verteilung spricht nicht unbedingt dafür: In "Zeit im Bild" und "ZiB 2" kommen die Regierungsparteien, die Oppositionsparteien in jene Sendungen, die wenige sehen. Das kann nicht Zufall sein.

STANDARD: Aber in der jüngsten Auswertung liegen die Grünen nach Sekunden in der "Zeit im Bild" um 19.30 Uhr Kopf an Kopf mit der ÖVP und nur wenig hinter der SPÖ.

Brosz: Transparenz scheint zu wirken. Seit wir wöchentlich die Parteienanteile publizieren, ist der Anteil der Opposition deutlich gestiegen und jener der Regierung gesunken. Offenbar wurde der Handlungsbedarf auch im ORF erkannt.

STANDARD: Und vor den Wahlen steigt die Sensibilität der Opposition.

Brosz: Bei den Nationalratswahlen 2008 gab es im ORF deutlich mehr Ausgewogenheit als heute. Sechs Wochen vor der Wahl zählt auch das Argument nicht mehr, dass Regierende eben entscheiden und daher mehr Zeit bekommen - und die Opposition nur kritisieren könne. Jetzt müsste ein Vorschlag von Herrn Faymann genauso viel wert sein wie von anderen Spitzenkandidaten. Dem ORF ist es aber einen Bericht wert, wenn Michael Spindelegger und Josef Pühringer gemeinsam Schifferl fahren gehen. Der O-Ton Spindeleggers lautete: Mehr ÖVP, weniger SPÖ. Welch Informationsgehalt! Das würde bei den Grünen nie gesendet werden. Der ORF agiert hier nach völlig unterschiedlichen Kriterien, das hat mit journalistisch begründeten Entscheidungen nichts zu tun.

STANDARD: Wie sollte es denn nach Ihrer Meinung laufen? TV-Sekunden nach Stärke im Nationalrat?

Brosz: Das wäre eben nicht das Ziel. Journalistische Kritierien sollten für alle gelten. Mir würde auch gut gefallen, wenn der ORF Interventionen veröffentlichen würde. Offenbar gibt es einen direkten Draht von Parteisekretariaten der Regierungsparteien nach oben, auf den Küniglberg. Und sie versuchen nicht nur zu intervenieren, was gespielt wird, sondern auch, was über die oder von den anderen nicht gespielt werden darf.

STANDARD: Können Sie da Beispiele nennen?

Brosz: Es gibt jede Menge Fälle. Aber damit wären auch die betroffenen Journalisten auszumachen. Ein Klassiker der ORF-Redaktionskonferenzen dazu ist: "Das ist keine Geschichte." Aber meist ist es keine Geschichte, was von der Opposition kommt. Die Definition von "Geschichte" im ORF wäre eine eigene Dissertation wert.

STANDARD: Sehen Sie einen Zusammenhang mit der großen Mehrheit im ORF-Stiftungsrat, die sich den Regierungsparteien zuordnen lässt?

Brosz: Das ist ein Teil der Geschichte, der vor allem Personalentscheidungen im ORF betrifft - insbesondere bei der Wahl des Generaldirektors. Der andere Teil ist die Frage der Finanzierung: Es war eine bewusste Entscheidung der Regierungsparteien, dass sie vor der Wahl keine weitere Abgeltung von Gebührenbefreiungen mehr beschlossen haben. Das ist politische Erpressung.

STANDARD: Nun sagen Mediensprecher anderer Oppositionsparteien: Die Grünen brauchen sich nicht beschweren über Parteieneinfluss im ORF - sie hätten ihnen freundlich gesinnte Journalisten in Schlüsselpositionen. Und sie hatten etwa im Stiftungsrat Pius Strobl als Wahlhelfer von Alexander Wrabetz, dann war Strobl als dessen Kommunikationschef ihr Mann im ORF, nun ist er noch Auftragnehmer des ORF.

Brosz: Man kann Strobl viel Kenntnis der Medienpolitik und des ORF nicht absprechen. Grundsätzlich sehe ich jede Vermischung von Aufsichtsratstätigkeit mit Geschäftsinteressen kritisch. Eine solche Konstellation wird es bei einem grünen Stiftungsrat sicher nicht mehr geben. Wrabetz hat Strobl aus dem Stiftungsrat ins Unternehmen geholt. Ich wüsste aber nicht, welche Vorteile die Grünen daraus gehabt haben. Eher im Gegenteil: Ständig war Strobl Thema. In der Berichterstattung war davon jedenfalls nichts zu bemerken. Aber man lernt ja: Unser aktueller Stiftungsrat ist ein renommierter Menschenrechtsanwalt, der von vielen als vorbildlich beschrieben wird. Und wenn es nach unserem Modell geht, sitzen ohnehin keine Parteienvertreter mehr im Stiftungsrat.

STANDARD: Eine Arbeitsgruppe aller Parteien unter Medienstaatssekretär Josef Ostermayer hat monatelang ohne erkennbares Ergebnis über neue ORF-Gremien beraten. Sie fordern selbst einen kleineren Stiftungsrat - was Vertreter der Opposition in dem Gremium unwahrscheinlicher macht.

Brosz: Werner Faymann hat vor ein paar Jahren schon Entpolitisierung so definiert, dass die Parteien keine Stiftungsräte mehr nominieren, sondern nur noch die Regierung. Das wäre eine Farce. Wir sehen einen kleineren, möglichst von Parteieinfluss unabhängigen Stiftungsrat natürlich anders und wollen als Einzige keinerlei Politikvertreter. Wir plädieren für einen zivilgesellschaftlichen, möglichst breit besetzten Gründungskonvent. Der wählt den ersten Stiftungsrat, und der besetzt seine - alle zwei Jahre gestaffelt ablaufenden - Mandate selbst neu. Dieser Vorschlag ist an das ÖIAG-Modell angelehnt. Der Geburtsfehler war dort, dass ein rein politisch, rein schwarz-blau besetztes Gremium immer wieder nur schwarze oder blaue Mitglieder wählt.

STANDARD: Der gelernte Österreicher zweifelt an einem weitestgehend parteiunabhängigen ORF-Gremium.

Brosz: Natürlich ist das nach österreichischen Kriterien eine Herausforderung. Andererseits: Was in fast allen zivilisierten europäischen Ländern möglich ist, ist vielleicht auch in Österreich machbar.

STANDARD: Wobei Österreich beileibe nicht das einzige europäische Land ist, in dem die Politik nach dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk greift.

Brosz: Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder meinte, er brauche zum Regieren alleine "Bild", "Bild am Sonntag" und Glotze. So ähnlich sieht das Werner Faymann wohl auch. Aber ich denke, der ganze Zinnober um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die eine oder andere Massenzeitung hört sich langsam auf. Für die Stammklientel mag die "ZiB" noch wichtiger sein, aber die jungen Menschen sitzen nicht mehr um 19.30 Uhr vor ORF 2. Mittelfristig läuft sich das Modell zu Tode.

STANDARD: Heißt das mittelfristig: Man braucht in zehn Jahren keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr?

Brosz: Doch. Privater Rundfunk kann morgen schon jemand anderem gehören - Zustände wie unter Berlusconi in Italien kann man nicht wollen. Nur die Debatte wird ziemlich scheinheilig geführt. Die Quoten des ORF gehen durch unterschiedliche Mediennutzung zurück, etal wie gut oder schlecht das Programm ist. Danach kann man die Debatte nicht ausrichten. Aber ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk lebt in der Konkurrenz gegen Private vor allem von seiner Glaubwürdigkeit. Schwindet die, verliert er seine Legitimität. Der ORF versucht den Weg des geringsten Widerstands, er versucht, sich politisch zu akkordieren. Manche Diskussionsformate im deutschen Privatfernsehen scheinen qualitätvoller als manches im ORF.

STANDARD: Zum Beispiel?

Brosz: Mir gefallen die Diskussionssendungen, die nach Moderatoren benannt sind. Da wurden viele Marken entwickelt: Anne Will, Reinhold Beckmann, Maybrit Illner, Sandra Maischberger - viele Frauen übrigens. In Österreich gibt es die Marke Armin Wolf. Bei Diskussionssendungen hat der ORF wirklich versagt. In Deutschland werden Politiker eingeladen, wenn sie etwas zu sagen haben, nicht nach dem Motto: Die Regierung muss auf jeden Fall vertreten sein, und dann laden wir abwechselnd auch mal jemand von der Opposition ein. Und siehe da, es funktioniert auch, wenn nicht immer die Regierung vertreten ist. Bei uns entsteht oft der Eindruck, dass die Redaktion das Thema aussucht und die Moderatoren vor allem versuchen, die Redezeit zu verteilen. In Deutschland sind klare Sendungskonzepte erkennbar, die von den namensgebenden Moderatoren durchgezogen werden.

STANDARD: Sie haben die Konkurrenz der Privatsender erwähnt - die fühlen sich weniger in ihrer Information als in der Unterhaltung von Show bis Serie und Film vom ORF kopiert.

Brosz: Je verwechselbarer der ORF programmiert, desto schwerer kann er seine Legitimität unter Beweis stellen. Dabei zeigt gerade ORF 3, dass man auch mit einer Zeitgeschichtedoku im Hauptabend Leute bewegen kann. Der ORF muss sich in der großen deutschsprachigen Konkurrenz mit einem eigenständigen Auftritt beweisen - den es nur in einzelnen Bereichen gibt.

STANDARD: Es gibt Mediensprecher, die meinen: ORF 3 alleine würde auch reichen.

Brosz: Das glaube ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass im Radio Ö1 reicht. Das bedient nur eine sehr kleine Schicht und überlässt alle anderen ganz privaten Einflüssen. Um den öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen, soll es schon einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben. Der ORF macht es einem halt schwierig, ihn zu verteidigen - wenn der ORF selbst seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag im Hauptabend mit "Tatort" und Showformaten aus Österreich rechtfertigt. Der ORF muss nicht jedes Showformat kopieren. Er muss auch nicht unbedingt verhindern, dass Dietrich Mateschitz die Formel 1 auf Servus TV zeigt. Ob ich mir die Qualifikation für die Champions League auf ORF 1 oder auf Puls 4 ansehe, bringt keinen öffentlich-rechtlichen Mehrwert. Die Zeitungen dürfen dann aber auch nicht jeden Prozentpunkt weniger Marktanteil mit Häme kommentieren.

STANDARD: Deutschland hat schon eine TV-Abgabe für alle Haushalte unabhängig vom Empfang, die Schweiz plant sie - ein vernünftiges Modell?

Brosz: Die Haushaltsabgabe wird über kurz oder lang in allen europäischen Ländern kommen. Rundfunkinhalte werden eben nicht mehr nur über klassische Fernseher oder Radiogeräte genutzt. Wenn man sich zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekennt, wird man um die Haushaltsabgabe nicht herumkommen. Aber man muss nicht jeden Blödsinn, der in Deutschland passiert ist, noch einmal machen. Aus den Erfahrungen dort sollte man lernen, bevor Österreich das Thema angeht.

STANDARD: Der Verfassungsgerichtshof hat Ihnen ja nun praktisch recht gegeben: Sie haben dem ORF-Gesetz 2010 nicht zugestimmt, weil es dessen Zugang zu Social Media beschränkte. Zu eng beschränkte, befand jetzt das Höchstgericht.

Brosz: Über die Situation damals ärgere ich mich bis heute: Über ein Gesetz wird in einem Zimmer des Parlaments politisch debattiert, und zugleich verhandeln nebenan tatsächlich die Hauptbetroffenen - der ORF und der Zeitungsverband. Und was dort herauskommt, darf die Politik umsetzen. Das war schon deprimierend. In jedem anderen Bereich hätte es da einen Aufschrei der Medien gegeben. Mich hat gestört, dass es in den Verhandlungen nie darum ging, was für den Medienstandort Österreich relevant ist. Es ging vor allem darum: Wo kann ich dem anderen am meisten wehtun?

STANDARD: Zum Beispiel beim Zugang zu Social Media.

Brosz: Die Facebook-Frage war ein Element davon. Ich dachte mir: ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz konnte nicht ernst meinen, was er damals unterschrieben hat. Für einen einstelligen Millionenbetrag - in der Onlinewerbung - bei einem Milliardenbudget lässt er den ORF von der Zukunft, Social Media, abschneiden. Ich vermute: Man hat mit der Aufhebung durch Höchstgerichte gerechnet und deshalb zugestimmt. Im Fußball würde das unter Foulspiel fallen und nicht unter faire Verhandlungen.

STANDARD: Der ORF sollte also möglichst alles dürfen?

Brosz: Keineswegs. Ich frage mich, ob der ORF jedes Geschäftsfeld besetzen muss, das nichts mit dem öffentlichen Auftrag zu tun hat.

STANDARD: Zum Beispiel?

Brosz: Der ORF muss nicht jedes Showformat, jedes Gewinnspiel nutzen, nicht jede Kooperation mit Konzernen. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass Sportvereine Produktionskostenbeiträge zahlen müssen, damit der ORF ihre Bewerbe ausstrahlt. Im Kulturbereich läuft es ähnlich. Es ist doch erschreckend, wenn nur das im Programm vorkommt, was bezahlt wird.

STANDARD: Der Zeitungsverband kam schon als Konkurrent des ORF vor. Nun fordert er fünfmal mehr Presseförderung als bisher, um den Wandel zu digitalen Medienhäusern zu unterstützen.

Brosz: Die geforderten 50 Millionen sind wohl eine erste Verhandlungsposition. Aber die Presseförderung in einem fairen, transparenten Sytem aufzustocken hat schon Sinn - und im Gegenzug das üppige Budget für Regierungswerbung zu reduzieren. Die massive Förderung von drei früheren oder heutigen Parteizeitungen, die kaum jemand kennt oder liest, versteht kein Mensch mehr. Das ist öffentlich nicht zu erklären, das ist höchstens versteckte Parteienförderung. Das System gehört neu aufgesetzt

STANDARD: Was soll gefördert werden?

Brosz: Journalistenausbildung, Korrespondenten, internationale Berichterstattung. Sinnvoll wären auch Anreizmodelle. Und nur Medien, die sich der Branchenselbstkontrolle, also dem Presserat, und damit gewissen Qualitätskriterien unterziehen, sollen gefördert werden.

STANDARD: Ist es sinnvoll, Gratiszeitungen von der Presseförderung auszunehmen?

Brosz: Grundsätzlich glaube ich nicht. Aber wie kostenlos zu empfangende Privatsender Förderungen für öffentlich-rechtlichen Mehrwert bekommen, wäre das auch bei Gratiszeitungen nach bestimmten Qualitätskriterien denkbar. Da muss es klare Kriterien geben. Nicht jedes reine Werbeblatt soll gefördert werden.

STANDARD: Die Verleger beschäftigt stark ein Leistungsschutzrecht, sie werfen Google und anderen Onlineriesen vor, ihre Inhalte ohne Abgeltung zu verwerten.

Brosz: Da sind viele Modelle vorstellbar, man muss erst definieren, was man genau will. Ich bin für diese Grundsatzdebatte offen. Wir wollen aber jedenfalls keine weitere Rechtsunsicherheit, damit Konsumenten nicht rätseln müssen: Ist das jetzt legal oder illegal, was ich mir da runterhole? Man kann schon darüber reden, wenn es vernünftige Modelle der Abgeltung zwischen Google und Medienhäusern gibt. Eine Belastung der Konsumenten und Konsumentinnen darf dabei aber nicht herauskommen.

STANDARD: Haben die - diesbzüglich bisher ja zurückhaltenden - Grünen Koalitionsbedingungen im Medienbereich?

Brosz: Es gibt eine Grundvoraussetzung für Koalitionsgespräche: den Untersuchungsausschuss als Minderheitsrecht als stärkstes parlamentarisches Kontrollrecht zur Korruptionsbekämpfung. Sonst stehen wir gleich wieder auf. Für alle Punkte unseres Wahlprogramms werden wir uns mit Nachdruck einsetzen, sie jetzt aber nicht gewichten. Das gilt auch für die Medienpolitik. (Harald Fidler, DER STANDARD, 30.8.2013)