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Andrew Wiggins (re.) hat alle Zutaten beisammen für einen NBA-Star.

Foto: AP/Huh

Allzu lange ist es nicht her, um genau zu sein zehn Jahre. Damals hat ein 18-Jähriger LeBron James die Latte für blutjunge Basketballstars in scheinbar unerreichbare Höhen gelegt. Eine kindliche Seele, gepfercht in einen über zwei Meter großen Monsterkörper. Ein gewaltiger Hype, der direkt aus der Highschool in die NBA rollte und sich zum dominantesten Spieler der Liga entwickelte. Ein Hybrid, der alle Positionen spielen kann, ein Jahrhunderttalent und zweifacher NBA-Champion. Dabei hat das "alte" Jahrhundert seine finalen Jahrgänge noch gar nicht fertig ausgespuckt.

Der nächste reife Jahrgang für die NBA ist 1995, und an seiner Spitze steht Andrew Wiggins. In den Basketball-Fachgazetten wird er gerne als "kanadischer Michael Jordan" tituliert, und vielleicht ist auch die Geschichte von LeBron James irgendwann einmal nicht mehr so außergewöhnlich.

Wiggins gilt als das größte Talent seit Jahren, wurde heuer mit dem Naismith Award für den besten Highschool-Spieler der USA ausgezeichnet und zum Mr. Basketball gewählt. Körperlich ist er noch nicht ganz so weit, wie es einst James war, seine Skills und sein Wurf aus der Distanz sind aber schon jetzt besser. Wiggins ist ein "freak of nature", wie die Amerikaner zu sagen belieben. Die Spannweite seiner Arme beträgt 2,15 Meter, damit kann er sich locker in die Mitte eines durchschnittlich dimensionierten Autos setzen und sowohl Fahrer- als auch Beifahrertür aufmachen. Auf Youtube hat sich Wiggins mit einigen zirkusreifen Aktionen am Parkett bereits ein Denkmal gesetzt, sein Alter ist in manchen Aktionen kaum zu glauben.

Warten auf Wiggins

Die renommiertesten US-Colleges haben um seine Dienste gebuhlt, die einflussreichsten Trainer des Landes sind vor ihm niedergekniet, um ihn für die Talenteschmieden von Kentucky, North Carolina oder Florida zu gewinnen. Entschieden hat sich Wiggins für Kansas, auch ein traditionelles Programm.

Ganz so schnell wie bei Kobe Bryant, James oder Kevin Garnett geht es bei Wiggins nicht, weil die NBA seit dem Jahr 2006 keine frischgebackenen Highschool-Abgänger mehr aufnimmt. Mittlerweile gilt eine Altersuntergrenze von 19 Jahren beim NBA-Draft. Das schnelle Geld hat viele junge Talente gelockt, die dem Druck und dem knallharten Kalender mit 82 Spielen pro Saison nicht gewachsen waren. Ein Jahr College soll ihnen den Übergang zum Profileben erleichtern. Dass vielleicht zuerst das Fressen und dann die Moral kommt und dass den NBA-Teams ein Jahr länger Zeit bleibt, Spieler intensiv zu analysieren bevor sie mit falschen Entscheidungen Millionen zum Fenster hinauswerfen, könnte freilich auch Thema sein.

Ballast

Andrew Wiggins wird bereits als sichere Nummer eins im nächstjährigen NBA-Draft gehandelt, obwohl er noch nicht einmal eine Minute College-Basketball gespielt hat. In seinem letzten Highschool-Jahr hat er gewaltige Statistiken angehäuft: 24 Punkte, 8,5 Rebounds, 4,1 Assists und 2,7 Blocks pro Spiel. Experten meinen, Wiggins habe schnellere Beine als LeBron James. Dabei kommt die Athletik des Jungstars nicht von irgendwo her. Sein Vater Mitchell spielte 20 Jahre lang Profibasketball und wurde in der NBA wegen Kokainmissbrauchs zwischenzeitlich gesperrt. Die Mutter des Jungstars gewann als Staffelläuferin zwei Silbermedaillen für Kanada bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles.

Das Rennen um die Rechte für die Topspieler nimmt in der NBA oft absurde Züge an. So lassen manche Teams nicht unabsichtlich eine Saison den Bach hinunter gehen, um sich mit einer sportlich grottenschlechten Bilanz eine gute Ausgangsposition im Draft zu sichern, wo die schlechtesten Teams zuerst zum Zug kommen. "Tanking" wird diese Vorgehensweise genannt, mit der sich schon die San Antonio Spurs seinerzeit Ende der 1990er-Jahre die Rechte für Tim Duncan sicherten.

Als erster kanadische Top-Draftpick kann Wiggins nicht mehr in die Geschichte eingehen, er dürfte aber weitaus mehr Potenzial haben als Anthony Bennett, dem diese Ehre kürzlich zu Teil wurde. Für den in Ontario geborenen Wiggins kann sich auch der führende Basketball-Analytiker des Mediensportgiganten ESPN, Chad Ford, begeistern: "Vergleiche mit Lebron James drängen sich auf." Den Ballast hat Wiggins jedenfalls, fehlt nur mehr die Bestätigung. Und vielleicht eine göttliche Gabe von James: Der wird unter Druck nur besser. (Florian Vetter, derStandard.at, 3.7.2013)