Die Twitter-Zombies: Immer öfter statten sich Social-Media-Nutzer mit computergenerierten Fake-Accounts aus, um den Anschein einer größeren Fangemeinde zu erwecken. Der sozial organisierte Kurznachrichtendienst Twitter zählt zu den am meisten betroffenen Netzwerken.

Foto: Tomasz Kaczkowski

Wer hat nicht schon heimlich von 10.000 Twitter-Followern geträumt, von 300.000 Views für das selbst gemachte Youtube-Video oder von einer größeren Reichweite seiner Facebook-Postings? Was für Privatpersonen eine Schmeichelei fürs Ego bedeutet, kann im Geschäftsleben den beinharten Unterschied ausmachen.

Immer mehr Prominente, Politiker, Blogger und Unternehmen drängen in die Metawelt der sozialen Medien und kämpfen dort um Aufmerksamkeit. Das Ziel des Engagements ist klar: Social-Media-Superstar werden. Da das organische Wachstum viel Zeit und Mühe kostet, greifen immer mehr Protagonisten auf die Möglichkeit des Fan-Kaufs zurück. Mit dieser schnellen Lösung lässt sich zwar keine echte soziale Relevanz erwerben, aber sie bietet Marketing-Managern und Agenturen die Möglichkeit, Vorgesetzten und Auftraggebern rasch beeindruckende Zahlen zu liefern.

"Hochmut kommt vor dem Fall"

Auch wenn die digitale Revolution alle nur denkbaren Felder umstruktiert, die Frage der Moral beschäftigt die Menschen auch in Zeiten des Internets. Ist es rechtens, sich bei Schwarzmarkthändlern Unterstützung zu erkaufen? Die Öffentlichkeit urteilt über dieses Verhalten mit einem deutlichen Nein. Enttarnte Follower-Betrüger wie Rapper Sean "Diddy" Combs, Italiens Ex-Premier Berlusconi und der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney wurden mit öffentlicher Häme überschüttet. Ebenso erging es großen Marken wie Ikea Italia, Pepsi, Mercedes-Benz und Louis Vuitton, die ihre Fanzahlen möglichst schnell in die Höhe treiben wollten.

Auch in Fachkreisen wird ein solches Verhalten naturgemäß aufs Schärfste verurteilt. Die Rede ist von einer moralischen Grauzone, von sinnlosem Scheingebaren, das bei der Verbreitung der eigenen Ziele nicht helfe. Doch trotz der Predigten der Marketinggurus dominieren die Follower-Zahlen nach wie vor die Diskussion im Hintergrund: "Was? Eine Million Follower? Respekt", heißt es hinter vorgehaltener Hand. Woher die Fans kommen, wird dabei nur selten nachgefragt.

Eine Million Dollar pro Woche

Findige Geschäftsleute haben bereits vor Jahren die Nachfrage nach Fans und Likes erkannt. Laut einer im Frühjahr erschienenen Studie der italienischen Sicherheitstechniker Andrea Stroppa und Carlo Micheli könnte die "Follower-Economy" bereits bis zu 360 Millionen US-Dollar schwer sein. Einer der dafür befragten Schwarzmarkthändler gab an, pro Tag bis zu 20.000 gefälschte Profile generieren zu können, ein anderer bezifferte sein wöchentliches Einkommen mit einer Million US-Dollar.

Bots statt Menschen

Eine einfache Google-Suche wie "Buy Twitter Follower" bringt derzeit 2.680.000 Ergebnisse. Angebote über 10.000 Twitter-Follower innerhalb von 24 Stunden um zehn Dollar sind leicht zu finden. Follower werden zumeist in Tausenderpaketen bis zu einer Obergrenze von einer Million angeboten. Der durchschnittliche Preis für tausend Follower beläuft sich laut der IT-Securityfirma Barracuda Labs auf 18 Dollar, dieselbe Menge ist aber auch schon für fünf Dollar zu haben.

Wer sich allerdings echte Menschen hinter diesen Angeboten erwartet, wird enttäuscht. Nur rund zehn Prozent der gekauften Fans sind im Schnitt humanoid. Die restlichen 90 Prozent sind Bots, Computercodes, die nicht nur zahlenmäßig Unterstützung markieren, sondern im besten Fall auch Beiträge favorisieren und weiterverteilen.

Physiognomie eines Fake-Accounts

Ein klassischer Fake-Account ist an sich leicht zu erkennen. Er führt einen computergenerierten Namen wie pivoanatwayy347 oder Shinaha Krytowsk und zeigt ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Followern und Personen, denen gefolgt wird. Als weitere Erkennungsmerkmale gelten das Fehlen eines Profilbilds, persönlicher Angaben und Satzzeichen in möglichen Tweets.

Die Entwicklung der Fake-Accounts bewegt sich naturgegeben weg von leicht identifizierbaren Fälschungen. Inzwischen erlaubt neue Software die Produktion immer eleganterer Bots inklusive Profilbild und Biografie. Diese tweeten und retweeten sogar in regelmäßigen Abständen, senden persönliche Nachrichten und verwenden Hashtags. Laut der italienischen Studie belaufen sich die durchschnittlichen Kosten für fünf Retweets pro Tag auf neun Dollar, für 125 Retweets gilt es 150 Dollar zu berappen.

Die Fünfjahresgarantie

Als neuer Trend unter den Fake-Account-Anbietern etabliert sich derzeit die Vergabe einer Fünfjahresgarantie. Die Seite "Fast Followerz" bietet beispielsweise eine solche "Follower-Protection", die sicherstellen soll, dass die Accounts von entsprechender Qualität sind und nicht entdeckt und gelöscht werden. Nötig wurde dieses Feature aufgrund des wehrhaften Verhaltens der betroffenen sozialen Netzwerke. Pinterest führte Ende 2012 eine große Säuberungsaktion bei seinen Accounts durch, Twitter löscht regelmäßig im großen Stil, und auch Facebook verabschiedete sich im ersten Halbjahr 2013 von 83 Millionen Accounts.

Dabei muss erwähnt werden: Die Social-Media-Netzwerke löschen die Bots vor allem zugunsten der Werbewirtschaft. Im Grunde genommen würden höhere Mitgliedszahlen den Plattformen als eine Art Machtdemonstration zum Vorteil gereichen, aber seit die Geschäftsmodelle auf das Geld internationaler Werbekunden abzielen, ist die Sache mit den Userzahlen verzwickter geworden. Die vielen Bots haben den Effekt, die Anzeigenpreise konstant niedrig zu halten, weil die Marketingfachleute argumentieren, dass ihre Werbeeinschaltungen zu bis zu einem Drittel nur maschinelle Scheinkunden zu Gesicht bekommen. Ein Umstand, der den Betreibern nicht ins Konzept passt.

Größter Markt für Twitter

Das Problem des Fan-Zukaufs bekommt über kurz oder lang jedes soziale Netzwerk, das global eine bestimmte Größe erreicht. Derzeit gehandelt werden Follower für Facebook, Pinterest, Tumblr und Instagram, den größten Markt gibt es für Twitter. Grund dafür sind die Anmeldemodalitäten des sozial organisierten Kurznachrichtendiensts, die es den Nutzern erlauben, mit nur einer E-Mail-Bestätigung mehrere Accounts anzulegen.

Als einzige Hürde haben die Twitter-Macher ein "Captcha" eingebaut, eine für Menschen leicht identifizierbare Zahlen-Buchstaben-Kombination, die für Maschinen nur schwer lesbar ist. Doch auch für diese Hürden gibt es Abhilfe. Um 15 Euro kann man tausend gefälschte E-Mail-Accounts zur E-Mail-Verifizierung erstehen, tausend Captcha-Erfassungen sind schon um einen Euro zu zu haben.

Quotencheck

Wer selbst genauer Bescheid wissen will, wie viele Bots zur Anhängerschaft eines ausgewählten Twitter-Accounts zählen, kann auf Checking-Tools zurückgreifen. Großer Beliebtheit erfreut sich der "Fakers Test" von StatusPeople, der die Prozentzahl der möglichen Fake-Follower analysiert. Bewegt sich der Anteil der Fake-Follower unter 20 Prozent, ist der Betreiber im sauberen Bereich.

Empfehlenswert sind auch das "Socialbakers Tool", "SocialBro" sowie die Seite TwitterCounter.com, die den Follower-Zuwachs über die letzten drei Monate anzeigt. Gibt es dabei unwahrscheinlich anmutende Außreißer, bei denen ein Account innerhalb von 24 Stunden 100.000 Follower gewonnen hat, liegt höchstwahrscheinlich ein Fan-Zukauf vor. Die meisten Tools wurden nach dem Twitter-Skandal des US-Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney im Juli 2012 entwickelt, Prüfsoftware für andere soziale Netzwerke hat sich bisher noch nicht durchgesetzt.

Verteidigung

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass jede Verteidigungshaltung der Industrie nur eine Reaktion sein kann. Die Innovationsgesschwindigkeit des Schwarzmarkts erschwert den Spürhunden die Suche nach Fake-Accounts.

So bietet die Seite "Fast Followerz" den Kunden an, im Rahmen eines Monatsabos die Geschwindigkeit zu bestimmen, mit der die Follower hinzugefügt werden, damit keine auffälligen Zuwächse das öffentliche Bild beschmutzen. Am aufsteigenden Ast sind auch Seiten, die Profile echter Menschen anbieten, die im Netz oder über Apps zum Verkauf angeboten werden. Einen anderen Weg hat die Seite "Follower Sale" beschritten. Dort wurde ein Pyramidensystem etabliert, das zahlende Kundenprofile auf ihrer Website veröffentlicht. Wenn angemeldete User sich entscheiden, diesen Profilen zu folgen, verdienen sie damit Credits, mit denen sie selbst wiederum kostenlos Follower einkaufen können.

Spam-Gefahr für die echten Fans

Wer nun denkt, dass der Aufbau einer Scheinprominenz nur die eigene Moral etwas angehe, der irrt. Faktisch ist es so, dass viele Anbieter ihre Kunden dafür benutzen, Spam in soziale Netzwerke zu schleusen. Bots können Passwörter ausspähen, andere Accounts hacken und Viren verbreiten. Wer zudem seinen Einkauf am Schwarzmarkt mit Kreditkarte bezahlt, sollte sich besser zweimal überlegen, welcher Klientel er seine Daten anvertraut. (Tatjana Rauth, derStandard.at, 2.7.2013)