Mit ihm steht und fällt die US-Band The Shins: James Mercer.

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The Shins sind ein Phänomen. Irgendetwas wohnt der Musik dieser US-Band inne, das man auch nach 117 Durchläufen eines Albums wie Wincing The Night Away oder Chutes Too Narrow nicht benennen kann. Denn sie besitzt Merkmale, die nicht als Qualitätsträger gelten. Eine tendenziell dünne Produktion ist dabei das Auffälligste. Und dann ist da ein Sänger, für den man selbst nach einem Jahrzehnt Aufmerksamkeit inklusive eines persönlichen Treffens kein wirkliches Gefühl entwickelt hat. James Mercer ist Songwriter, Sänger, Gitarrist und die einzige Konstante der Shins. Er sieht aus wie der leptosome Bruder des Schauspielers Kevin Spacey. Eine vermutete Tiefgründigkeit wurde vom persönlichen Gespräch terminiert. Mercer entpuppte sich als kalter Fisch, höflich wie ein Starbucks-Angestellter und genauso verbindlich.

2008 löste er die Shins auf. Davor bescherte er Sub Pop mit Wincing The Night Away den höchsten Billboard-Charts-Eintrag in der Geschichte des Labels. 2010 tat sich Mercer mit Starproduzent Brian Burton alias Danger Mouse zusammen und gründete die Broken Bells, die mit präzisen New-Wave-Sichtungen erfreuten, denen Mercer ein paar seiner sehnsüchtigsten Momente lieh. Das ist seine Stärke. In Mercers Stimme wohnt das Verlangen, die Sehnsucht sowie die Angst vor dem Scheitern. Existenzialismus für Anfänger und Fortgeschrittene.

Mit diesem Tonfall und einer Beteiligung am Soundtrack des Independent-Films Garden State wurden The Shins berühmt. Sie zählten zur Alternative-Music-Spitze der Nullerjahre - zumindest in den USA. Garden State hieß das Regiedebüt von Zach Braff, dem Hauptdarsteller der Krankenhaus-Serie Scrubbs.

Die Songs Caring Is Creepy und New Slang legten den Grundstein für die Karriere der Shins, die damals in Portland, Oregon, lebten. Selbst dass sie ihre Musik für eine McDonald's-Werbung verkauft hatten, überlebten sie ohne größeren Schaden an ihrer Reputation. Eine Aktie wie jene der The Shins verwirft man als gelernter Kapitalist nicht freiwillig, also kündigte Mercer im Vorjahr die Wiederkehr der Band an, nun ist Port Of Morrow erschienen. Mit einer neu zusammengestellten Mannschaft schreibt es die Shins-Ästhetik fort. Der anämische Sound des Jingle-Jangle-Pop samt blubberndem Synthie-Gewese wird von Mercers Stimme genialisch ornamentiert. Sein Gefühl für Melodien hat er nie verloren, dennoch sinniert man wieder über die versteckte, die tiefer liegende Verführungskraft dieser Musik.

Nur einmal stinkt das Album ab. Als hätte man es nicht gemerkt, heißt dieses Lied dann auch noch Simple Song. Es verwendet einen Rhythmus und eine Melodie, die so platt sind, dass man glücklich verdrängt hat, bei wem man sie einst hassen gelernt hat. Damit nicht genug gibt Mercer mitten im Song mit tiefer Sprechstimme den Märchenonkel, eine Art Bruce Low für die Generation Umhängetasche.

Diesen Ausrutscher beiseitegelassen, verströmt Port Of Morrow wieder jene Magie, die die Shins-Musik so besonders macht. Popsongs wie It's Only Life atmen trotz durchschimmernder Schwermut die Leichtigkeit des Frühlings, lassen einen so beglückt wie ratlos zurück. Wie macht James Mercer das? Solange diese Frage nicht geklärt ist, bleiben The Shins ein kleines Wunder. Möge die Antwort für immer im Dunkel schlummern. (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 23.3.2012)