Pressekonferenz mit Signalwirkung nach innen: Wer es mit Lena aufnimmt, bekommt es mit dem Vizekanzler, der Superministerin und der Klubobfrau zu tun.
Heribert Corn

Journalismus ist fürchterlich unangenehm. Man nimmt erklärtermaßen in Kauf, Dingen Raum zu geben, die gegen das eigene Weltbild, die eigene Überzeugung sprechen. Das Gegenteil der angeblich so sozialen Medien, deren Algorithmen unsere Scheuklappen immer enger auf die eigene Meinung einstellen. Journalismus bedingt Offenheit, widerspricht Denkvorschriften und kann vorgefertigte Meinungen erschüttern.

Mir wurde in den vergangenen Tagen immer wieder die Frage gestellt: Was hat ausgerechnet DER STANDARD gegen die Grünen? Die Antwort ist simpel: nichts. Die Redaktion hält zu allen Parteien im demokratischen Spektrum Äquidistanz. Wir halten uns an die Augstein-Doktrin, wie das im Journalismus heißt. Der Gründer des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel, Rudolf Augstein, hat die Aufgabe von Journalisten mit dem großen Satz "Sagen, was ist" beschrieben. Nicht sagen, was wir gern hätten. Nicht sagen, wie es andere gern lesen würden. Sondern schlicht sagen, was ist.

Kein Wort zum Vorwurf

Der STANDARD-Artikel zu Lena Schilling tut genau das: Er fasst, tatsächlich recht behutsam formuliert, aufwendige Recherchen zusammen. Dinge, die den höchstpersönlichen Lebensbereich betreffen, wurden aussortiert. Die Stimmen, die wir nicht benennen, sind nicht anonym. Jeder Name ist uns bekannt, die Aussagen sind abgesichert, gegengeprüft, juristisch abgewogen.

Die Grünen-Abgeordneten, die mit dem STANDARD sprechen, fürchten Repressalien der Parteispitze. Die Grünen sind längst nicht mehr die basisdemokratische Gruppe von früher – sie sind eine Regierungspartei, deren Kommunikation zentralistisch und professionalisiert von der Spitze gelenkt wird. Message-Control ist angesagt.

So hinterließ auch die eilig einberufene Pressekonferenz mehr Fragen als Antworten. Es wurde keinem sachlichen Vorwurf entgegnet, es gab kein Dementi. Der Vizekanzler zerfranste sich argumentativ ins Gemurkse und Gefurze. Inhaltlich folgte nichts: Nicht einmal eine interne Prüfung wurde angekündigt, alle Zweifel wurden weggewischt. Mit keinem Wort wurde auf die schwerwiegenden Vorwürfe der erfundenen sexuellen Belästigung eingegangen.

Stimmt der Kurs?

"Werner, der Kurs stimmt", hätte man wie dereinst die SPÖ für Faymann auf Täfelchen drucken können. Der skurrile Auftritt erlaubt den Grünen keine Steigerungsmöglichkeit. Das Signal wirkt nach innen stärker als nach außen: Wer es mit Lena aufnimmt, bekommt es mit Vizekanzler Werner Kogler, Ministerin Leonore Gewessler und Klubobfrau Sigrid Maurer zu tun. Gleichzeitig.

Dabei waren es Kogler und Maurer, die sich 2021 eine "untadelige Person" wünschten, als sie den Rücktritt von Sebastian Kurz forderten. DER STANDARD hat nun die bestehenden Zweifel aus dem grünen Klub thematisiert, ob Schilling die hohen Erwartungen erfüllt. Ihre Glaubwürdigkeit ist politisch hochrelevant, die Zweifel an ihr auch. Dass diese Frage der Parteiführung nicht gefällt, war vorhersehbar. Dass dies Grünen-Wählende überrascht: richtig.

Journalismus hat einen Zweck – und das ist im aufklärerischen Sinn der Journalismus selbst. Dinge zu schreiben, von denen in nahezu allen Fällen genügend Menschen wollen, dass sie nicht geschrieben werden. Der Journalismus darf sich selbst niemals zu hoch hängen. Journalismus hat die Menschen nicht zu belehren, wir sind nicht die vierte Gewalt. Journalistinnen und Journalisten sind ebenso keine Richter, sie sind nicht die Moralhüter der Nation.

Wir legen offen, was wir gesichert in Erfahrung bringen können. Denn es ist unsere Hauptaufgabe, zu sagen, was ist. (Gerold Riedmann, 10.5.2024)