Auf Einladung der EU-Kommission wurde am Montag zum Europatag der Gründungsideen der EU gedacht. Bundeskanzler Karl Nehammer sagte, der EU-Beitritt Österreichs 1995 sei eines der wichtigsten Ereignisse der Zweiten Republik gewesen.
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Stell dir vor, im österreichischen Parlament findet ein Festakt zum Europatag am 9. Mai statt. Aber die allermeisten geladenen Abgeordneten von National- und Bundesrat wie auch die Europaabgeordneten gehen gar nicht erst hin. Nur fünf Wochen vor den EU-Wahlen! Wer glaubt, dass das doch nicht wahr sein könne, war am Montag nicht im Hohen Haus am Ring oder hat das auf ORF 3 nicht live mitverfolgt.

Der 9. Mai, das war jener Tag im Jahr 1950, an dem der französische Außenminister in Paris seine berühmte "Schuman-Erklärung" verkündete. Sie war nur fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Ausgangspunkt für die deutsch-französische Aussöhnung, die Montanunion, für all das, was seither in bald 75 Jahren zu unserer Europäischen Union geworden ist: einer Gemeinschaft, die Generationen nicht nur Frieden, sondern auch Wohlstand und Rechtsstaatlichkeit gebracht hat.

Freiheit ist nicht nur ein Wort

Und sie brachte Befreiung und Demokratie für hunderte Millionen Menschen. Bis heute, wenn wir an die EU-Osterweiterung denken, an die Hoffnungen der Menschen in der kriegsverheerten Ukraine. An all das haben Bundeskanzler Karl Nehammer, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und als Hauptredner EU-Kommissar Johannes Hahn in ihren Reden im Parlament eindringlich erinnert. Letzterer gab auch einen ernüchternden Ausblick auf die Herausforderungen, die Europa bevorstehen.

Nicht umsonst hat Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron davor gewarnt, dass "Europa sterblich ist". Sprich: Wenn wir nicht aufpassen, uns neben den USA, China, Indien, Russland und Co zu behaupten, uns quasi "neu erfinden", könnte Europa ein armer Kontinent werden.

Anstöße aus Paris sollte man ernst nehmen, 1950 wie heute. Wir brauchen einen neuen Aufbruch, Belebung der Wirtschaft, Digitalisierung, Klimaschutz, eine neue Sicherheitspolitik. Dafür braucht es aber eine starke gesellschaftliche Basis, eine seriöse Debatte. Was zurückführt zur Europafeier im Parlament: Außer August Wöginger von der ÖVP war dort kein Klubchef zu sehen, nur wenige Mandatare, praktisch niemand von der SPÖ oder den Grünen. Kein Andreas Babler, kein Vizekanzler Werner Kogler. Für die Neos hielt EU-Kandidat Helmut Brandstätter Stellung. Ansonsten außer Ehrengästen und Schülern: niemand.

Die Ignoranz der Abgeordneten

Das war erbärmlich, eine Schande für die, die sich sonst bei jeder Gelegenheit als "überzeugte Europäer" aufspielen. Dass die FPÖ schwänzte, die die EU im Wahlkampf auf absurde Weise als "Kriegstreiber", "Wahnsinn" und "Irrsinn" diffamiert, ist kein Wunder. Aber sonst? Wer soll dieses Land konstruktiv in eine gute Zukunft führen bei so viel Ignoranz?

Was kommt, konnte man in Paris sehen beim Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Er ließ Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen höflich, aber kühl abblitzen. Der Franzose hatte die Deutsche klugerweise dazugeholt. Sie hatten sich eng abgestimmt, versucht, Xi zur Friedenssuche mit Moskau zu bewegen, den Dumpingmethoden Pekings in Industrie- und Handelspolitik etwas entgegenzusetzen. Schuman schrieb einst, der Friede könne nicht gewahrt werden "ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen". Wie wahr. Heute heißt es: Wir müssen Europa gemeinsam am Sterben hindern, der Ignoranz in die Parade fahren. (Thomas Mayer, 9.5.2024)