Solarenergie sorgt schon jetzt dafür, dass zu Mittag negative Strompreise auf dem Markt herrschen. Dynamische Tarife nutzen diesen Umstand aus.
Sergio Victor Vega via www.imago

Die Abrechnung von Energiepreisen ist bei den meisten Anbietern ein Relikt aus der Vergangenheit: Aufgrund des Vorjahresverbrauchs wird eine Prognose abgegeben und daraus ein Teilzahlungsbetrag ermittelt, den man monatlich oder quartalsweise überweist. In Zeiten der allgegenwärtigen Smart Meter, die den Verbrauch in Echtzeit auf die zweite Nachkommastelle genau erfassen, wirkt dieses Abrechnungsmodell unflexibel und überholt. Es profitiert der Anbieter, kundenfreundlich ist das nicht.

Strompreise ändern sich in aber in Wahrheit im Minutentakt, je nach Angebot und Nachfrage. Ist viel Angebot da, sinkt der Preis. Das ist etwa an einem sonnigen Tag im Mai der Fall, wenn Photovoltaikanlagen mehr Strom ins Netz speisen als tatsächlich gebraucht wird. Es ist also naheliegend, den Strom dann zu kaufen, wenn er gerade am günstigsten ist. Genau das macht Awattar. Das Unternehmen aus Wien bietet dynamische Stromtarife an.

Deutschland und das Smart-Meter-Dilemma

DER STANDARD hat mit CEO Simon Schmitz am Tag des Sprungs ins Nachbarland gesprochen. "Dynamische Stromtarife gewinnen massiv an Bedeutung, je größer der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energiequellen am Strommix ist. Immer mehr Haushalte nutzen die Möglichkeit, zu bestimmen, wann und zu welchem Preis sie Strom verbrauchen", sagt Schmitz. Das Unternehmen verspricht eine Einsparung von bis zu 35 Prozent der Stromkosten mit der dynamischen Abrechnung. In Österreich freute man sich bei Awattar über eine Verdoppelung der Kundenzahl, in Deutschland braucht es noch ein wenig mehr Aufbauarbeit.

Wer auf einen dynamischen Tarif umsteigen möchte, muss einen Smart Meter im Haus haben. Das ist in Österreich in rund 80 Prozent der Haushalte bereits der Fall. "Ganz anders sieht es im benachbarten Deutschland aus. Dort sind gerade einmal wenige Prozent der Haushalte mit einem intelligenten Stromzähler ausgestattet", erklärt Schmitz. Aber die Gesetzeslage hat sich geändert, wer in Deutschland einen Smart Meter will, bekommt ihn jetzt auch. Deshalb sieht das österreichische Unternehmen ein großes Wachstumspotenzial in Deutschland.

Im Nachbarland herrscht aber auch aus einem anderen Grund kein ganz einfacher Markt, weil der Strommarkt deutlich komplexer ist als in Österreich. So ist es in Deutschland möglich, dass der Betreiber des Stromzählers nicht zwingend der Netzanbieter ist. Darüber hinaus gibt es über 1200 Netzbetreiber. "Mit denen muss man einmal eine automatisierte Kommunikation aufbauen. Es ist ja nicht so, dass wir uns gegenseitig E-Mails mit den Strompreisen schicken", erklärt Schmitz.

Smart Home hilft beim Stromsparen

Doch wie funktioniert der dynamische Tarif auf Verbraucherseite? Schließlich dürften nur die wenigsten Menschen die Zeit haben, den Geschirrspüler dann einzuschalten, wenn der Strompreis gerade günstig ist. Hier lautet die Lösung: Smart Home. Das Münchner Technologieunternehmen Tado hat Awattar übernommen, die smarte Heizungssteuerung oder die Regelung der Wärmepumpe wird mit den Tarifen von Awattar abgestimmt.

So heizt etwa die Wärmepumpe das Haus auf, wenn der Strom gerade günstig ist. Wer Temperaturschwankungen gegenüber wenig empfindlich ist, kann so mehrere Hundert Euro im Jahr sparen. "Aber auch die Amortisationszeit einer Wärmepumpe wird massiv verkürzt. Für die Energiewende ist das super, man spart als Kunde im eigenen Geldbeutel", so Schmitz. Aktuell ist es zum Beispiel möglich, das Elektroauto intelligent zu laden: Eine App plant den Ladevorgang zu Hause automatisch in Zeiten mit niedrigen Energiepreisen, egal wann das Elektroauto an die Wallbox angeschlossen wird.

Awattar kauft den Strom stündlich genau an der Europäischen Strombörse ein und gibt die Preise plus Netzentgelte und Abgaben an die Kunden weiter. Abnehmer erhalten jeden Monat eine Stromrechnung auf Basis des gemessenen Verbrauchs inklusive Netzrechnung. In einem typischen Jahr gibt es mehrere Hundert Stunden, in denen besonders viel Sonnen- oder Windenergie produziert wird und die Strompreise negativ sind. Diese werden ebenfalls 1:1 an Kunden weitergegeben und auf der Stromrechnung gutgeschrieben.

"Das Elektroauto fast gratis laden ist möglich"

Mittlerweile seien etwa Photovoltaikanlagen so verbreitet, dass an einem schönen Tag so viel Strom produziert wird, dass es auf den Strommärkten zu Negativpreisen kommt, der Strom also quasi nichts kostet. "In Österreich hat man so die Chance, sein Elektroauto zu Mittag mit Gratisstrom laden", so Schmitz.

Die Vernetzung von Smart Home und Energieverbrauchern muss aber noch weiter vorangetrieben werden, so Schmitz. Bislang waren die Abnehmerinnen und Abnehmer dynamischer Stromtarife eher Enthusiastinnen und Enthusiasten, die kein Problem damit hatten, sich ihren Stromverbrauch auszurechnen und Informationen selbst zusammensuchen. Die Idealvorstellung ist, dass das gesamte Energiemanagement eines Hauses in einer einzigen App stattfindet. Erst wenn die vollständige Vernetzung des Energiemanagements da ist und die Lade-App des E-Autos auch direkt mit der PV-Anlage kommuniziert, dann werden die Tarife auch massenkompatibel.

Selbst wenn mit der fortschreitenden Digitalisierung auch am Strommarkt schon viel erreicht ist, wird, bis es so weit ist, noch ein wenig Zeit vergehen. Einstweilen hat Schmitz einen Unterschied zwischen der Kundschaft in Österreich und Deutschland ausgemacht, der gängige Klischees zu bestätigen scheint: "In Österreich wird teils nicht auf das kleinste Detail geschaut, und man sagt gerne 'Passt schon', während viele Kunden in Deutschland lieber noch einmal einen Blick auf die Excel-Tabelle werfen." (Peter Zellinger, 7.5.2024)