Zeitzeugin Rosa Schneeberger
Zeitzeugin Rosa Schneeberger (88) hat vier Jahre im von den Nazis so genannten "Zigeuner-Anhaltelager Lackenbach" im Burgenland verbracht – und überlebt. Jahrzehntelang hat sie über die Erlebnisse während des NS-Terrorregimes nicht öffentlich gesprochen. Erst im Jahr 2001 brach sie ihr Schweigen.
© Christian Fischer

Diese Nacht hat sie vor Aufregung nicht schlafen können. Seit drei Uhr sei sie wach gelegen, erzählt Rosa Schneeberger. Trotzdem will die rüstige 88-Jährige über Erlebnisse reden, die passiert sind, als sie noch ein Kind war. "Ich erzähle das nicht gerne, es belastet mich", sagt Schneeberger. Aber sie sei eine von nur noch wenigen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Sie ist auch die Letzte von all ihren Geschwistern, die im Lager waren – und noch lebt. "Die Jugend muss das hören, was uns widerfahren ist. Die jetzige Generation kann nichts dafür, was damals war. Aber sie kann etwas dafür tun, dass das nicht mehr passiert."

Schneeberger, die seit den 1950ern in Villach lebt, ist wieder zu Besuch in Wien, im Haus ihres Sohnes im Bezirk Donaustadt. Trotz der vielen Jahre in Kärnten sei sie "im Herzen Wienerin geblieben. Ich habe meine Kinder auch wienerisch erzogen." Ihr Sohn Hugo, der mit am Tisch sitzt, kann dem nichts entgegnen. Und dann beginnt Schneeberger, die im Jahr 1936 geboren wurde, von früher zu erzählen.

Nicht weit von hier entfernt, im Bezirk Floridsdorf, hat sie ihre ersten Lebensjahre verbracht. Unbeschwert sei diese Zeit gewesen, sagt die Sintiza, die von Familie und Freunden nur Mirga gerufen wird, und voll von Musik. Denn ihr Vater Robert und dessen Brüder waren Musiker, die auch in umliegenden Restaurants wie dem Kalitz aufspielten. Der NS-Terror und die Verfolgung von Roma und Sinti, die seit dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich eingesetzt hatte, machten vor der kleinen Floridsdorfer Siedlung nicht halt: Am 26. Juni 1939, Schneeberger war drei Jahre alt, wurden ihr Vater und dessen Brüder verhaftet, zunächst in das Konzentrationslager (KZ) Dachau und dann in das KZ Buchenwald deportiert. Am 4. Juli 1941 folgte für den Vater die Verfrachtung zur Zwangsarbeit in das KZ Mauthausen.

Im "Zigeuner-Anhaltelager Lackenbach"

Rosa Schneeberger kam als Fünfjährige gemeinsam mit ihrer Mutter Katharina und ihren Geschwistern in das von den Nazis so bezeichnete "Zigeuner-Anhaltelager Lackenbach" im Burgenland. Schneeberger musste als Zwangsarbeiterin auf dem Feld mithelfen und die großen Steine aus dem Boden holen. Sie mussten in einem Heuschober schlafen, die einzelnen Schlafplätze waren mit Pritschen abgeteilt – "wie in einem Schweinestall", sagt sie.

Die Bedingungen waren unmenschlich. "Vor der Scheune gab es einen Brunnen. Und nur 15 Meter daneben war unser Klo. Das war wie ein kleiner Teich, wo sie einfach Holzbretter darüber gelegt haben, ohne eine Lehne zum Anhalten. Da sind die Alten reingefallen, die haben sie einfach drin gelassen. Das war für Männer, Frauen und Kinder. Und die Kinder haben den Alten geholfen, dass sie nicht reinfallen." Die katastrophalen hygienischen Zustände führten dazu, dass das Wasser verunreinigt wurde und die Lagerbewohner Bauchtyphus bekamen. Viele starben auch daran, wie der Großvater von Rosa Schneeberger. "Davor hat er uns Kranken noch allen geholfen."

Rosa Schneeberger erinnert sich an eine holzig schmeckende Steckrübensuppe als warme Mahlzeit. Zum Frühstück gab es ausschließlich Malzkaffee und Brot. Milch, Butter, Marmelade oder Obst habe es in den vier Jahren im Lager Lackenbach nie gegeben.

Vor der anstehenden Deportation und der möglichen Vernichtung im KZ Buchenwald dürfte sie ihr Vater gerettet haben, erzählt Rosa Schneeberger: Denn dieser verletzte sich bei der Zwangsarbeit im KZ Mauthausen schwer und wurde über Umwege nach Lackenbach gebracht, weil die Aufseher dort Musiker zur Unterhaltung suchten. Robert Schneeberger schaffte es, dass die Familie um Rosa nicht deportiert wurde. Andere enge Verwandte, darunter Cousinen und Cousins, seien hingegen abtransportiert und umgebracht worden. "Wir haben sie nicht mehr wiedergesehen."

Ende März 1945 erlebten nach Angaben der Marktgemeinde Lackenbach rund 300 bis 400 Häftlinge die Befreiung des Lagers durch sowjetische Truppen, darunter auch die Familie von Rosa Schneeberger. Insgesamt waren rund 4.000 Personen hier interniert.

Rosa Schneeberger stellt ein Bild zur Verfügung, das einen Teil der Familie Schneeberger nur wenige Wochen vor der Internierung im Lager Lackenbach im Jahr 1941 zeigt. Ganz links hinten befindet sich Rosa, daneben sind die Schwestern Ottilie und Mimi sowie der Bruder Bosso abgebildet. Im Vordergrund sitzt Ziwalla, Rosas Tante. Sie haben den NS-Terror überlebt.
© Christian Fischer

Rede beim "Fest der Freude" auf dem Heldenplatz

Über die damaligen Erlebnisse hat Rosa Schneeberger viele Jahrzehnte lang öffentlich kein Wort verloren. Erst mit der Kontaktaufnahme durch Hans Haider vom Verein "Erinnern Villach" änderte sich das im Jahr 2001: Schneeberger brach ihr Schweigen, sie ging in Schulen und sprach auch an der Universität Klagenfurt. Die Auftritte belasteten sie aber, das Experiment Zeitzeugin wurde jäh beendet. Erst seit dem Vorjahr tritt Schneeberger, die heute zehn Enkel und zwei Urenkel hat, wieder auf.

Am Mittwoch, den 8. Mai, jährt sich die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht zum 79. Mal. Beim "Fest der Freude" ab 19.30 Uhr auf dem Wiener Heldenplatz wird Rosa Schneeberger mit 88 Jahren als Rednerin auf der Bühne stehen und als Zeitzeugin von ihren Erlebnissen während des NS-Terrorregimes berichten. Sie wird wieder nervös sein. Aber es muss sein, meint Rosa Schneeberger. "Das, was war, darf niemals mehr passieren." (David Krutzler, 8.5.2024)