Software-Updates "over the air" (OTA) und das Verlagern etlicher Funktionen und Abläufe in die Cloud sind Bestandteil der digitalen Revolution, in der das Auto steckt.
BMW

"Elon Musk kommt von der Elektronik her. Er hat das Thema gleich dort angepackt, wo es aller Logik nach landen würde." Heinz Hollerweger, einst unter anderem Leiter der Entwicklung Gesamtfahrzeuge bei Audi, heißt uns wieder einmal gastfreundlich willkommen in seinem steirischen Domizil, und das Thema ist hochbrisant.

Da ist einerseits das Phänomen Tesla, sind andererseits die US-IT-Riesen wie Google, Apple, Amazon, die das lineare Fortschrittsdenken der klassischen Autozunft gerade aushebeln. Und schon jetzt zeigt sich: Danach ist nichts mehr, wie es war.

Wegskizze

Hollerweger skizziert zunächst in groben Strichen den bisher zurückgelegten Weg. Man habe mit der Elektronik ganz klein begonnen, so um 1990, ab 1995 gewann die Sache an Dynamik.

"Das war ein langer Weg. Erst nur steuern. Dann steuern und regeln. Dann jedes System für sich: Tür, Airbag, Motor, Getriebe, für alles ein eigenes Steuergerät, keines redete mit den anderen. Dann, Anfang 2000, die Bus-Systeme, und schließlich sagte man sich: Wir nähern uns mehr und mehr der Großrechnerorganisation an. Klar ist: Ein Rechner ist deutlich einfacher als 25 kleine Steuergeräte, die irgendwo unterzubringen sind, jedes ein eigenes Gehäuse braucht, seine eigene Stromversorgung, Netzanschluss etc., und man schleppt von einem Steuergerät zum anderen eine Menge Bus-Kabel durch die Gegend. Das Problem hat man mit nur einem Rechner nicht. Das ist deutlich einfacher, schon vom Kabelbaum her."

Elon Musk hatte seinerzeit mit Teslas Software-Architektur einen Schock in der Branche ausgelöst.
GETTY IMAGES NORTH AMERICA/JUSTI

Und damit sind wir bei Elon Musk und Tesla. Hollerweger: "Er hat eines richtig gemacht: Er hat diesen Weg analysiert und gefragt: Wo endet er? Und am Ende dieses Weges ist er mit wenigen großen Rechnern gestartet."

Mit dieser Architektur habe er einen regelrechten Schock ausgelöst, damit und mit OTA-Updates („over the air“), die im Grunde gleich von Anfang an funktioniert hätten. Ein Newcomer wie Tesla mit überschaubarer, hochpreisiger Modellpalette sei dabei auch insofern im Vorteil, als es keines skalierbaren Konzepts bedürfe wie bei klassischen Autobauern mit breitem Angebot bis runter zum preissensiblen Kleinwagen.

Zangenbewegung

Wie es weitergeht? Bald wird nur mehr ein zentraler Großrechner an Bord sein, und selbst das reicht nicht, der unter anderem durch immer autonomeres Fahren generierten Datenlawine Herr zu werden, die Cloud wird an Bedeutung zunehmen. Für Hollerweger ist auch dieser Weg klar vorgezeichnet: "Die Cloud wird mächtiger. Mehr Cloud-Intelligenz, immer weniger direkt an Bord. Und klar, KI wird in diesem Prozess eine Rolle spielen."

Das andere Kernthema dieser digitalen Zangenbewegung dreht sich um die Software, begleitet von Überlegungen vor Jahren, mehr davon wieder beim jeweiligen Autohersteller selbst zu machen.

Der VW-Konzern hat die Software-Aktivitäten in der Cariad gebündelt - ein schwerfälliger Riese und eine Dauerbaustelle. Etlichen anderen Autoherstellern geht es nicht viel besser.
Volkswagen

Im VW-Konzern wurden diese Aktivitäten 2020 in der Softwaremarke Cariad gebündelt, mit bisher gelinde gesagt suboptimaler Performance. "Man hat geglaubt, die Software wird einmal ein Differenzierungsmerkmal. Ehrlich? Ich glaube nicht mehr daran. Wenn wir einmal autonom fahren, ist es dem Kunden wurscht, ob die Software A vom VW-Konzern drei Millisekunden früher zum Überholen ansetzt als die Software B von Stellantis. Irgendwann wird das eine Einheitssoftware werden, und zwar nicht von den Automobilherstellern, sondern von den großen Playern. Das Rennen ist gelaufen."

Es läuft ein Paradigmenwechsel, der das Auto zum rollenden Elektronik-Device degradiert. Dieses Ding hier und alle weiteren Smart Devices und Anwendungen, die ins Fahrzeug integriert werden wollen, prägen der Autobranche seit etwa 2015 immer unwiderruflicher ihren Stempel auf.
IMAGO/Rüdiger Wölk

Der Hintergrund ist inzwischen klar ersichtlich, die Wende geschah so um das Jahr 2015 herum: "Man hat verkannt, dass die Lebenswelt des Kunden nicht das Auto per se ist, sondern das Mobile. Das Ding hier (deutet auf das Smartphone auf dem Tisch) hat alles geändert. Das haben die Apples, Googles, Amazons dieser Welt längst erkannt. Das ist der zentrale Aspekt. Das nimmst du überall hin mit. Das Smartphone, die Smartwatch oder was noch alles an Devices jetzt kommt. 24 Stunden sieben Tage die Woche am Mann, an der Frau. Das Auto ist nur mehr ein Teil deines Lebens, nämlich der, wo du fährst, und es muss das Device möglichst nahtlos integrieren."

Das Auto, degradiert zur rollenden Einbettung dieser Geräte – ob in diesem Umfeld Europas Hersteller eine Perspektive hätten, zumal ja auch noch die wuchtige chinesische Attacke läuft? Für Hollerweger eine Wenn-dann-Angelegenheit, am besten festzumachen am Beispiel der Hauptschwäche Teslas: lieblose Innenraumgestaltung.

Es muss ja nicht gleich ein Bentley Flying Spur sein, aber in der hochwertigen, zum Wohnen einladenden Gestaltung von Innenräumen sieht Hollerweger eine gewichtige Chance für Europas Autobauer.
Bentley

Bei Tesla liege der Fokus klar auf der Elektronik, die müsse perfekt funktionieren, der Rest nur leidlich. "Das ist eine Chance für die Konkurrenz. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum wir Europäer uns so schwertun, in diese Lücke zu stoßen. Denn das können wir."

"Autopersönlichkeiten" schaffen

Sprich, es geht um freundliche, wohnliche Interieurs, auch um Anleihen bei der Wohn-, Möbel-, Manufaktur-, Luxusbranche, kunsthandwerkliche Details, klassische Schalter mit hochwertiger Mechanik, kurz: um das Schaffen von Autopersönlichkeiten. Markenspezifikum bei Software werde deren Bedienung, aber für Hollerweger ist "ein wichtigeres Differenzierungsmerkmal als autonom fahrende Software: Wie gestalte ich den Innenraum angenehm für den Kunden, dass er gern einsteigt?"

Und wo bleibt der Fahrspaß? "Der wird aus dem öffentlichen Verkehr ganz klar verbannt." Sportwagenfan? Ab auf den Rundkurs. Oder in den Fahrsimulator. Denn wie gesagt: Das Rennen ist gelaufen. (Andreas Stockinger, 28.4.2024)