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Das Aufwärmen, die Übungen, das alles macht schon wirklich Sinn. Plötzlich komme ich richtig gut vom Fleck, plötzlich bin ich auf Zug. Natürlich nur gefühlt.
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Mir geht es wie seinerzeit vor einer Mathematikschularbeit. Ich und Mathe, das hieß: viel Nachhilfe, etliche Nachprüfungen, eine Ehrenrunde. Ich bin also nervös. Beim Kraulenlernen bin ich quasi noch in der Volksschule, begonnen hab ich schließlich erst vor gut einem Jahr. Immerhin stehe ich nicht an der Tafel, sondern am Beckenrand im Stadthallenbad. Und Ruth, meine Lehrerin, ist gewiss nicht so streng wie einst Herr Professor X und Frau Professor Y. Aber streng genug. "Wärmst du immer ordentlich auf?", will sie wissen. "Machst du deine Schneideübungen? Und dehnst du nach dem Training?" Ich schüttle zerknirscht den Kopf.

Unser letztes Treffen, das war im September im Stadionbad, im Freien. Dass ich kraulend über den Winter gekommen bin, darauf bin ich einigermaßen stolz. Geholfen hat, dass ich mich gleich zu Hallensaisonstart übermütig für einen Kraulkurs "für Fortgeschrittene" angemeldet hatte, zehn Einheiten im Bad des Bundes-Blindeninstituts in der Wittelsbachstraße gleich beim Prater. 25-Meter-Bahn, meistens sieben Leute gleichzeitig unterwegs. Ich weiß, was es heißt, wenn richtig viel Verkehr ist.

Wasser gespuckt

Die Trainerin (halbstreng) ließ uns überraschend viel Rücken schwimmen, also Wasser spucken. Gute Tipps waren: mit der Schulter die Wange entlang streichen, Handfläche nach außen drehen, sodass die Hand mit dem kleinen Finger zuerst eintauchen kann. Auch eine Kraulübung (von vielen) hat sich mir eingeprägt: zwei Längen lang abwechselnd je drei schnelle und drei langsame Armzüge, zwei Längen je vier langsame und vier schnelle Armzüge und so weiter, bis je zehn Armzügen erreicht sind. Und schon sind 400 Meter vergangen.

Einmal sollten wir versuchen, eine Länge zu tauchen. 25 Meter, dachte ich mir, so weit ist das nicht. Danach wusste ich: Es ist weit genug. Ich hab es geschafft, war aber völlig außer Atem. Jetzt fällt mir Markus Rogan ein, der heuer im Weißensee einen Weltrekord im Eistauchen fixierte. Der Mann ist, nur mit Badehose bekleidet, 111,2 Meter weit getaucht, von einem Loch im Eis zu einem anderen. Einhundertelfkommadrei Meter, das sind fast viereinhalb Längen, ich pack es immer noch nicht.

Stoßzeiten vermieden

Nach meinem Kurs hab ich mir eine private Bäderrallye vorgenommen. Zuerst einmal checken, welches Bad wann geöffnet ist und wo man wann am besten seine Längen ziehen kann. Dass ich auf der Kurzbahn bleibe, war klar. Die mobile 50-m-Halle im Stadionbad steht zwar an vielen Tagen stundenlang und an Sonntagen überhaupt leer, aber leider nur dem Leistungssport zur Verfügung, und die Stadthalle mit ihrem 50-m-Pool liegt halt gar nicht ums Eck.

Aber in diversen öffentlichen Bädern hab ich gut meine Längen ziehen können. Auch wenn da oft nur zwei Bahnen geleint sind, war nie so viel los, dass ich umgedreht hätte. Ja, die Stoßzeiten, früher Morgen und später Nachmittag unter der Woche, hab ich vermieden. So hatte ich nicht selten eine Bahn für mich, und mehr als drei andere waren nie gleichzeitig mit mir unterwegs. Feststellung: Sechs rücksichtsvolle Menschen können in einer 25-m-Bahn gut miteinander auskommen. Doch mit bloß einem rücksichtlosen Ego kann es unangenehm werden.

Kantinen getestet

Hietzinger, Simmeringer, Donaustädter und Hütteldorfer Bad waren meine Stationen in Wien. Das Hütteldorfer Bad hat den Vorteil, dass es auch dem sporadischen Begleiter (11) etwas bietet, eine Rutsche und eine Kantine, die den Namen auch verdient. Selbiges gilt fürs Klosterneuburger Happyland und, mit Abstrichen, fürs Schwechater Hallenbad. Da wie dort gibt es sogar eine Homepage samt Bahnbelegungsplan, der erkennbar macht, wann man am besten dort auftaucht und wann vielleicht besser nicht. Wien ist da anders. Zeit ist's, dass die Freiluftsaison beginnt.

Ruth Pataki
Ruth Pataki, erfolgreiche Mastersschwimmerin des Traditionsvereins Hakoah Wien, muntert mich zu mehr Elan bei den Schneideübungen auf: "Du tust dem Wasser schon nicht weh."
RP

Aber zurück in die Stadthalle, zurück zu Ruth, die in ihrer Altersklasse (AK45) eine erfolgreiche Masters-Schwimmerin ist. Sie hat mich aufwärmen lassen, jetzt sind "Schneideübungen" angesagt. Ich mache unter Wasser mit den Unterarmen Scheibenwischer-artige Bewegungen. Dann einarmiges Kraulen. Dann nur die Beine. "Du musst das Wasser nicht streicheln", sagt Ruth. "Du tust dem Wasser schon nicht weh."

Rollwende angestrebt

Und die Beine? "Das sieht gut und wirklich locker aus", lobt Ruth. Bis vor einiger Zeit hatte ich das Gefühl, ich würde beim Kraulen die Beine vor allem stillhalten, jetzt strampeln sie quasi schon ein wenig mit, kommt mir vor. Aber bis dato dienen sie wohl allein dem Auftrieb, also der Wasserlage, von Vortrieb ist eher noch keine Rede. Zukunftsmusik wie die Rollwende, oh Gott, die Rollwende! Ein guter Vorsatz für einen hoffentlich langen Sommer.

Keine Zeitlupe: Fritz Neumann krault 50 Meter
DER STANDARD

Seit September, wie erwähnt, bin ich fast immer einfach nur so vor mich hin gekrault, stets einen bis 1,5 Kilometer. Eh brav, finde ich. Aber nicht brav genug. Denn das Aufwärmen, die Übungen, das alles macht schon Sinn. Ich merke es, als Ruth mich quasi von der Leine lässt. Plötzlich kommt mir das 50-m-Becken kaum länger vor als die 25 Meter, die ich gewohnt bin. Plötzlich komme ich richtig gut vom Fleck. Plötzlich bin ich, natürlich nur gefühlt, auf Zug.

Nachhilfe benötigt

Doch dann sagt Ruth: "Jetzt mach ich noch ein Video." Und wer wollte Ruth widersprechen? Ich hab es mir danach nur einmal angesehen. Meine Arme übergreifen, mein Becken sackt ab und zu ab, ich verliere die Wasserlage, drehe den Kopf beim Atmen zu weit aus dem Wasser. Und leider läuft in dem Video auch die Zeit mit. Viel Zeit. Ich bin kein Fisch, ich bin eine Schnecke. Eine Schnecke, die noch viel Nachhilfe brauchen wird. Aber eine Schnecke, die weiterkrault. (Fritz Neumann, 30.4.2024)