Wählerinnen und Wähler haben viele Fragen an die Politik. In Social Media bekommen sie Antworten auf die Fragen, was FPÖ-Chef Herbert Kickl frühstückt, wie die grüne Klubchefin Sigrid Maurer ihre Abende verbringt oder was Neos-Frontfrau Beate Meinl-Reisinger beim morgendlichen Kaffee zu sagen hat.
Fotos: Instagram, TikTok, Politik, Socialmedia. Collage: derStandard/Friesenbichler Fotos: Tiktok, Instagram, Adobestock

Sigrid Maurer steht vor einem Billardtisch, die Sonnenbrille hat sie ins Haar geschoben, in der rechten Hand hält sie den Queue. Die grüne Klubchefin kneift die Augen zusammen und lächelt verzwickt. Schmeichelhaft ist die Aufnahme nicht. "Gewinnspiel: Wer hat Lust auf eine Partie Billard?", steht auf dem Foto, das auf ihrem Instagram-Account gepostet wurde und offenkundig eine Montage ist. Maurers – im Verhältnis zu großer – Kopf wurde in das Bild mit Billardtisch gephotoshoppt. Nicht von politischen Gegnern, sondern von Menschen, die sie dafür bezahlt.

Das soll vor allem eines sein: witzig. Und so junge Menschen auf Instagram zu einem Treffen "mit Sigi" bewegen. Als Politikerin ist Maurer für Härte und ihren Pragmatismus bekannt, in den sozialen Medien fällt sie vor allem mit "Labervideos" im Bademantel auf. Sie steht dann in ihrer Küche, tanzt, schnippelt Gemüse und erzählt irgendetwas, das ihr gerade am Herzen liegt; spricht über Feminismus oder Trends im Internet – und fällt damit auf. Jedenfalls Journalisten.

Peinlich oder erfolgreich?

In einem Kommentar in der Kronen Zeitung wurden ihre "Spaßvideos" kürzlich als "peinlich und ungebührlich" bezeichnet, auch DER STANDARD hat bereits über ihre Social-Media-Videos berichtet. Man könnte sagen: immerhin. Viele grüne Pressekonferenzen werden weniger leidenschaftlich gecovert als Maurers Auftritt auf Instagram. Die Frage ist aber, ob der eigentliche Sinn der Videos erfüllt wird: Erreicht Maurer damit junge Menschen, die dann vielleicht die Grünen wählen?

Und es geht nicht nur um Maurer. Kann die SPÖ ihre Wählerschaft verbreitern, wenn Parteichef Andreas Babler Videos mit seiner Ehefrau postet? Hilft es den Neos, wenn sich ein Bild einer joggenden Beate Meinl-Reisinger verbreitet? Und ist die FPÖ wirklich so erfolgreich in den sozialen Medien? Warum? Wie lässt sich das überhaupt messen?

Die kurze Antwort auf all diese Fragen lautet: Es ist nicht ganz klar. DER STANDARD hat Wissenschafterinnen und Forscher mehrerer Universitäten kontaktiert, um herauszufinden, wie Österreichs Politiker in sozialen Medien ankommen. Wir wollten wissen, was zieht, ob Tiktok und Instagram die Nationalratswahl beeinflussen werden – oder zumindest das Potenzial dafür haben. Bloß: Viel wurde dazu noch nicht geforscht. "Man kann sagen, Politiker und Politikerinnen bespielen in den sozialen Medien eine Blackbox", sagt Lore Hayek, Politikwissenschafterin an der Universität Innsbruck.

Schwer erreichbar

Hayek erklärt, dass junge Menschen schwer zu erforschen sind, weil sie mit klassischen Befragungsmethoden wie Telefonumfragen kaum erreichbar sind. Die Wissenschafterin vermutet auch einen Age-Gap zwischen Forschern und Erforschten. Soll heißen: Viele Wissenschafterinnen sind selbst nicht die Zielgruppe und dadurch auch nicht so bewandert, was Social Media betrifft.

Gleichzeitig sind die sozialen Medien ein bedeutender Schauplatz im politischen Wettbewerb. Das sagen die Strategen aller Parteien. "Social Media nimmt im Kommunikationsmix der ÖVP einen hohen Stellenwert ein und wird in den bevorstehenden Wahlkämpfen eine entscheidende Rolle spielen", heißt es etwa aus der türkisen Parteizentrale. Im Team von Andreas Babler spricht man gar von einer "beispiellosen Erweiterung der politischen Arena" durch soziale Medien.

Um einen Einblick zu bekommen, was österreichische Politiker mit ihren Bildern und Videos auslösen, hat DER STANDARD Menschen angeschrieben, die unter politische Postings entweder positiv oder negativ kommentiert haben – und sie befragt.

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Lustige Story auf Partys

Das schnelle Fazit lautet: Jedenfalls wird von Spitzenpolitikern erwartet, dass sie in sozialen Medien präsent sind. Die Befragten waren in ihrer Beurteilung oft gnädiger als Journalisten. "Ein bisschen peinlich" seien alle, hieß es oft, aber Spitzenpolitiker seien eben in der Regel auch alt – zumindest im Vergleich zu 18-Jährigen. Und Politik sei im Normalfall ernst und per se wenig Tiktok-tauglich. Zeigen sich Politiker im privaten Setting und ungekünstelt, kommt das tendenziell überraschend gut an.

Georg ist 18, ein Schüler aus Salzburg, unter Maurers Einladung zum Billardspielen hat er geschrieben: "Das wär ja eine lustige Story auf einer Party." Er hält Maurer für "sympathisch und ungezwungen", erzählt er, sei "kein überzeugter Grüner", aber politisch interessiert. Für ihn steche Maurer auf Instagram heraus. "Werner Kogler ist intelligent, aber weniger menschlich und greifbar", sagt er.

Der Schüler informiert sich über die österreichische Politik in sozialen Medien – und das direkt über die politischen Accounts. Er folgt den meisten Spitzenpolitikern, auch aus Interesse, wie die sich dort geben: "Auf Instagram ist gut ersichtlich, ob die Partei versteht, auch jüngere Leute abzuholen", sagt er. Vor allem zu viel "Ernsthaftigkeit" funktioniere seiner Ansicht nach in sozialen Medien nicht. "Die Politik hat eine lange Tradition darin, im Fernsehen Botschaften zu vermitteln, aber wenn du junge Leute erreichen willst, wird das so nicht funktionieren."

Authentizität und Selbstironie

Die Politikwissenschafterin Hayek kommt zu einem ähnlichen Schluss. Ein gelungener Social-Media-Auftritt von Politikern zeichne sich vor allem durch zwei Dinge aus: Authentizität und Selbstironie. "Junge Menschen merken sofort, wenn das reine Anbiederung ist – zum Beispiel über Jugendsprache."

Mit Jugendsprech fällt Herbert Kickl auf Instagram nicht auf, er teilt vor allem Fotos von sich mit deftigen Zitaten. Etwa: "Die Regierung schützt Straftäter statt unsere Polizisten." Am 16. März wurde er ein bisschen persönlich. Er postete sein Frühstück. Auf dem Bild ist eine kleine Schüssel Müsli mit grob geschnittenen Apfelstücken und einem Löffel zu sehen – nicht, wie auf Instagram üblich, perfekt inszeniert, sondern auf einem stinknormalen Tischset. Auf Instagram würde man vielleicht sagen: nicht Insta-worthy.

"Kanzlerfrühstück" und Düsternis

In den Kommentaren wird sein Posting dennoch extrem gut aufgenommen – vielleicht wurden negative Beiträge aber auch von der FPÖ gelöscht, möglich ist das. Wahrscheinlich gefällt den meisten der nahbare Kickl aber auch schlichtweg wirklich, Instagram und Tiktok sind generell positivere Plattformen als etwa Facebook oder X.

"Kanzlerfrühstück", kommentiert eine 29-Jährige und postet dazu ein Apfel-Emoji. "Die FPÖ ist die Partei, die ich wähle", erzählt sie uns. Kickl finde sie persönlich super, sein Social-Media-Auftritt sage ihr aber weniger zu. "Er spricht die Jungen eigentlich nicht wirklich an, mir ist auch das ganze Design und so viel zu düster", meint die Selbstständige. Interessant daran: Viele der Befragten, die mit anderen Parteien sympathisieren, halten die FPÖ für die Partei mit der größten Social-Media-Kompetenz. Ausschließlich jene Befragte, die FPÖ wählt, war anderer Meinung.

Echokammern

Über Politik, sagt die junge Frau, informiere sie sich auch über Servus TV, oe24.at, Facebook und einen Newsletter der FPÖ. Kommentieren würde sie unter Beiträgen von FPÖ-Politikern und Grünen. Neben Postings von Kickl fielen ihr vor allem jene der Salzburger FPÖ-Politikerin Marlene Svazek auf. "Ansonsten von anderen Parteien kaum jemand."

Damit ist die junge Frau nicht allein. In den sozialen Medien sind nahezu alle in ihren Bubbles unterwegs. Das heißt: Sie folgen Personen mit ähnlichen Ansichten, liken Postings, mit denen sie d’accord gehen, und bekommen durch die Algorithmen der Plattformen nur wenige gegenteilige Meinungen präsentiert. Forscherinnen sprechen auch von "Echokammern", die durchaus eine Gefahr für den demokratischen Diskurs darstellen. Denn wer nur Informationen rezipiert, die ohnehin den eigenen Ansichten entsprechen, setzt sich dementsprechend wenig mit anderen Argumenten auseinander.

Privatfotos für mehr Zielgruppe

Das weiß man auch in der Politik. Gerade deshalb seien persönliche Postings hilfreich, sagt Julian Steiner, Sprecher von Beate Meinl-Reisinger. "Mit privaterem Content erreichen wir oft mehr Menschen als mit klassischen Inhalten. Das ist gut, um die Zielgruppe zu erweitern."

Die österreichische Politik hat erst in den vergangenen Jahren das Potenzial entdeckt, das in Tiktok, Instagram, Facebook, Twitter und Linkedin steckt. Mittlerweile sind alle Parteien in irgendeiner Form auf den Plattformen aktiv. Bei den Neos, der kleinsten Parlamentspartei, arbeiten vier bis fünf Mitarbeiter am Social-Media-Auftritt der Partei, den Newslettern und an der Website. Hinzu kommen zwei Mitarbeiterinnen, die sich um das Community-Management kümmern. Bei den Großparteien sind bis zu zehn Menschen nur für die Betreuung der eigenen Social-Media-Accounts zuständig.

Vor- und Spitzenreiter auf nahezu allen Social-Media-Kanälen war und ist die FPÖ. Politikberater Thomas Hofer sieht den Erfolg der Freiheitlichen in den sozialen Medien vor allem darin, dass ihnen gelungen ist, womit andere Schwierigkeiten haben: eine einheitliche Linie bei Kommunikation und Botschaft. Kombiniert mit kontroversen Inhalten und emotionalisierenden Sprüchen treffe dies genau den Nerv von Plattformen wie Instagram und Tiktok.

"Cute", lautet das Urteil der Followerin von @andibabler.
tiktok/Andibabler

"Mann beißt Hund"

Die Devise, um online aufzufallen, laute: "Mann beißt Hund", sagt auch der Medienwissenschafter Daniel Hajok. Das Feld solle man trotzdem nicht nur jenen überlassen, die zwanghaft auffallen und aufregen wollen, meint der Honorarprofessor der Universität Erfurt. Die Gespräche "am Küchentisch", sagt er, würden bei jungen Menschen maßgeblich von Social Media bestimmt.

Einer, der es zumindest sprachlich etwas ruhiger angehen lässt, ist SPÖ-Chef Andreas Babler. Er präsentiert sich auf Instagram zumindest oberflächlich betrachtet ähnlich wie Kickl: viele Porträtbilder, Zitate, Videos. Bei ihm steht dort dann aber etwa: "Politik mit Herz." In einem Kurzvideo springt er auf einen Insta-Trend auf: "If I won the lottery ...", ist auf einem ersten Bild zu lesen. Dann wechselt das Foto zu einem anderen, auf dem er seine Ehefrau umarmt. "I already did", steht dabei. In den Kommentaren schmelzen die Posterinnen. "Das war cute", schreibt auch Sofia, sie ist 24, bezeichnet sich selbst als Influencerin. "Ich würde niemals meine politische Meinung über Social Media teilen, aber das war süß umgesetzt", erklärt sie uns. "Alte Leute sind auf Tiktok immer peinlich, aber trotzdem gut, dass Politiker ihre Botschaften dort teilen."

Ob digitale Herzen sich letztendlich bei der Wahl in Wählerstimmen umwandeln lassen, können die befragten Expertinnen nicht sagen. Doch es reiche auch ein gutes Wahlplakat allein nicht aus, um gewählt zu werden, sagt die Politikwissenschafterin Hayek. Aber: Politikerinnen und Politiker steigern durch ihren Social-Media-Auftritt ihren Bekanntheitsgrad. Wobei – wendet der Medienwissenschafter Hajok ein: Die Präsenz in Social Media sei nicht so relevant wie die Art und Weise, wie der Auftritt unter den Nutzern verhandelt werde. Das bedeutet: Nur weil eine Politikerin in Social Media ist, muss das nicht automatisch gut ankommen.

Kritische Zielgruppe

Die vom STANDARD befragten jungen Menschen widerlegen jedenfalls auch ein gängiges Klischee: Die meisten haben von sich aus angesprochen, dass Social Media trügerisch und gefährlich sein können. "Ich habe das Gefühl, dass viele Spindoktoren am Werk sind", sagt etwa ein junger Innenarchitekt, der unter einem Video von Claudia Plakolm kommentiert hatte.

In den USA läuft eine Debatte über ein Tiktok-Verbot, weil die chinesische App unter Spionageverdacht steht. Auch in der EU ist die Plattform umstritten, in Österreich darf Tiktok nicht auf Diensthandys des Bundes installiert werden. Man könnte sagen: Die Politik bespielt auch Plattformen, denen sie selbst nicht recht vertraut. Der Rechnungshof kritisiert hingegen, dass zahlreiche Parteien in den sozialen Medien nicht klar genug zwischen amtspolitischen und parteipolitischen Aktivitäten trennen würden.

Fest steht: Viele Junge bewegen sich auf den unterschiedlichen Plattformen ganz natürlich, während Politik, Wissenschaft und auch das Recht eher hinterherhinken. Eine überraschende Erkenntnis der Befragung war auch, dass es gar nicht so einfach war, junge Menschen zu finden, die unter den Accounts von Politikern kommentiert haben – weil die politischen Kommentarfelder von Menschen jenseits ihrer Zwanziger dominiert werden.

Georg, der 18-jährige Schüler, wird übrigens nicht mit Sigrid Maurer Billard spielen – das Gewinnspiel haben andere gewonnen. (Katharina Mittelstaedt, Antonia Wagner, 30.4.2024)