Lisa Lane 1962 im Marshall Chess Club, New York City.
Lisa Lane 1962 im Marshall Chess Club, New York City.
IMAGO/Pond5 Images

Es ist eine ungewöhnliche und kurze Karriere, die Lisa Lane als Schachspielerin hinlegte. Und trotzdem war sie eine Pionierin des Schachsports, dem sie aber trotz ihres großen Talents nicht ihr ganzes Leben widmen wollte. Lisa Lane spielte ihr Leben lang nach ihren eigenen Regeln.

Wenn derzeit von "Frauenschach" die Rede ist, denken wohl viele an die erfolgreiche Netflixserie Das Damengambit (2020), in der die junge Waisin Beth Harmon in den 1950er-Jahren den Weg zur Weltmeisterin antreten will. Lisa Lane stand allerdings dafür nicht Patin, genauer: keine Schachspielerin. Nicht mal Gespräche oder Kontakte zu Schachspielerinnen hatte der Autor des Romans The Queen's Gambit, Walter Tevis, auf dem die Serie basiert.

Dabei hätte ihm Lisa Lane einiges über die Welt des Schachs in den 1950er- und 1960er-Jahren erzählen können.

Schach statt Hörsaal

Marianne Elizabeth Lane wurde am 25. April 1933 in Philadelphia geboren. Ihr Vater verließ die Familie früh, Lisa lernte ihn nie kennen. Ihre alleinerziehende Mutter arbeitete als Sekretärin, während sich die Großmutter und Nachbar:innen um Lisa und ihre Schwester Evelyn kümmerten. Lane verließ die Highschool ein Jahr vor ihrem Abschluss. Dass sie studieren konnte, war einer Sondergenehmigung der Temple-Universität zu verdanken. Ein schrecklicher Vorfall während ihrer Zeit dort hielt sie aber von den Hörsälen fern und stieß sie in eine Depression. Lisa fuhr mit dem Auto ihrer Mutter eine Frau an, die ihren Verletzungen erlag.

Statt zu studieren, saß sie in Cafés herum. Dort entdeckte sie Schach und lernte andere Schachbegeisterte kennen. Einer davon brachte sie mit dem damals besten Schachspieler Philadelphias, Attilio Di Camillo (1917–1962), zusammen. Lane lernte von ihm, und das enorm schnell.

Ihr Studium gab Lane auf, sie jobbte – und spielte exzessiv Schach. Ende der 1950er-Jahre folgten schon die ersten Siege. 1958 gewann sie die Meisterschaften von Philadelphia, im Jahr darauf wurde sie US-Frauenmeisterin – nur zwei Jahre nachdem sie das erste Mal vor einem Schachbrett Platz nahm.

Schach schien damals nur was für intellektuelle, haarige alte Männer zu sein, sagte der Sportjournalist des Time-Magazins Robert Lipsyte dem Magazin "Slate" über das damalige harte Umfeld für Lane. Diese schien das aber nicht zu verschrecken oder vor Ehrfurcht erzittern zu lassen. Im Gegenteil, auch wer gut Schach spielt, müsse noch lange nicht die hellste Kerze auf der Torte sein, war sie überzeugt. Oder in Lanes Worten: "Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Intelligenz und Schach, einige der dümmsten Menschen, die ich kenne, sind gute Schachspieler", sagte sie einmal zu einem Journalisten.

Keine falsche Bescheidenheit

Lane schien klar zu sein, dass die unzähligen sexistischen Erzählungen über sie nicht aufhören würden, wenn sie sich als "ernsthafte Schachspielerin" – was auch immer das sein könnte – inszenieren würde. Lane wurde trotz ihrer Leistungen auf ihr Aussehen reduziert und erotisiert. Sie wurde als "dunkle Schönheit", "anziehend", "zierlich" oder "wohlgeformt" beschrieben. Lane war es egal, sie mochte die Aufmerksamkeit und tat, was sie für richtig hielt und ihr Spaß machte. Sie posierte für Bilder der Schublade "sexy Schachspielerin" mit viel Bein und nackter Schulter – vor dem Schachbrett, versteht sich.

Gleichzeitig scherte sie sich sonst kaum um das Label "damenhaft", und stand zu ihrer Schach-Besessenheit ebenso wie zu ihrem impulsiven Temperament. Und auch Bescheidenheit war ihre Sache nicht.

Eine junge Frau könne Menschen für das Spiel begeistern, deshalb sollten sie Schachverbände unterstützen. "Allein aus diesem Grund bin ich die wichtigste amerikanische Schachspielerin", sagte sie 1961 zu Robert Lipsyte. "Ich bringe Werbung und letztendlich Geld."

1961 ging Lane nach New York, wo sie sich auf ein Turnier im ehemaligen jugoslawischen Vrnjačka Banja vorbereitete. Und tatsächlich: Sie konnte es nicht ertragen, "gegen irgendjemanden zu verlieren“, wie sie Lipsyte sagte. In Vrnjačka Banja belegte sich nur den zwölften von 17 Plätzen. Wenige Wochen stieg sie beim Hastings-Reserveturnier in England einfach aus, sie mochte nicht mehr. Wegen Heimweh und weil sie sich verliebt hätte, sagte Lane. Das dürfen keine Gründe für eine Frau in einer Männerdomäne sein. Die Häme folgte auf dem Fuß: "Die Schachkönigin kündigt – war sie nur ein Bauer der Liebe?" lautete ein Titel zur Geschichte von Lanes vorläufigem Rückzug.

1962 wurde Lane bei der US-Frauenmeisterschaft hinter der neunfachen Landesmeisterin Gisela Kahn-Gresser Zweite. Trotzdem wurde Lane 1963 bei der Nominierung für das US-Frauenolympiateam einfach übergangen. Es ging ums Geld, wie die Schachfunktionäre auch unumwunden zugaben. Sowohl Gresser als auch Mary Bain, US-Meisterin von 1951, hatten genug Geld, um selbst alle nötigen Ausgaben für und rund um den Bewerb zu bestreiten, Lane nicht.

Nicht immer dasselbe

Lane musste äußerst bescheiden leben. 1963 eröffnete sie in Greenwich Village einen Schachclub für Amateure mit einem angeschlossenen Schachshop, Queen's Pawn Chess Emporium. Damit fand Lane ein kleines Auskommen, die damals direkt oberhalb des Clubs in einer kleinen Wohnung lebte. Mit professionellem Schach wollte sie erstmal nichts zu tun haben.

Ihr letzter großen Wettkampf war die US-Meisterschaft der Frauen 1966. Lane organisierte Leute aus ihrem Club für Proteste gegen das niedrige Preisgeld für Frauen: 600 US-Dollar. Für Männer gab es 6000. Lane gewann, musste sich aber den Titel mit Gisela Kahn-Gresser teilen.

1967, mit Anfang 30, war Lisa Lane mit Schach durch. Sie wolle einfach nicht immer dasselbe machen, sagte sie 2018 der Sports Illustrated. Ständig einen Titel verteidigen zu müssen und sich verpflichtet fühlen, sich selbst und alle Frauen verteidigen zu müssen – Lane hatte genug davon.

Ihr Leben nach dem Schach war ein völlig anderes. Sie eröffnete einen Naturkostladen, den es dreißig Jahre lang gab, später einen Geschenkeladen, und lebte die meiste Zeit im ländlichen Kent, unweit von New York City.

Ihrer Zeit voraus

2023 wurde Lisa Lane in die "Chess Hall of Fame" aufgrund ihrer Verdienste als Pionierin bei der Entwicklung des Frauenschachs aufgenommen. Lane war damals eine "coole Ausnahmeerscheinung", sagte Robert Lipsyte über Lane. Für die zweifache US-Meisterin und Autorin des Buchs Chess Queens, Jennifer Shahade, war Lane eine "Ikone und eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war".

Und sie war offenbar auch eine Frau, die mit der Zeit ging. 1971 spielte sie nochmal mehrere Partien gegen ein frühes Schachprogramm auf einem IBM-Computer. Sie gewann und lobte die Vorteile eines Schachprogramms: Das sei im Gegensatz zu menschlichen Spielern wenigstens nicht sauer, gegen eine Frau zu verlieren. (Beate Hausbichler, 25.4.2024)