16.40 Uhr Ortszeit war es am Montagnachmittag, als in der ostukrainischen Großstadt Charkiw, die seit Monaten Ziel intensiver russischer Luftangriffe ist, die Fernsehprogramme abrupt endeten. Eine russische Rakete hatte den 240 Meter hohen Fernsehturm getroffen, der sechs Kilometer außerhalb des Stadtzentrums seit 1981 TV-Signale über die Millionenstadt aussandte. Kurz nach der Explosion stürzte der obere Teil des Turms zu Boden, der ukrainische Gebietsgouverneur Oleh Synjehubow bestätigte, dass ein "Fernsehinfrastrukturobjekt" getroffen wurde. Menschen seien nicht zu Schaden gekommen.

Der Charkiwer Fernsehturm wurde
Der Charkiwer Fernsehturm wurde "geköpft".
IMAGO/Vyacheslav Madiyevskyy

Laut Präsident Wolodymyr Selenskyj, der seit langem für mehr Luftabwehrsysteme für sein Land wirbt, handelte es sich bei dem Angriff um einen gezielten Versuch Russlands, die nur 40 Kilometer von der Grenze entfernte Stadt unbewohnbar zu machen. Ziel sei es offenbar, die Bevölkerung der einst traditionell mehrheitlich russischsprachigen Stadt von Informationen aus ukrainischen Quellen abzuschneiden. Die räumliche Nähe zu Russland ist für Charkiw besonders prekär: Drohnen und Raketen erreichen die Stadt mit minimaler Vorwarnzeit, Treffer sind schon aufgrund mangelnder Abwehrwaffen kaum zu vermeiden. Internet sei in der Stadt aber trotz des eingestürzten Turms noch verfügbar, hieß es.

"Präzisionsarbeit"

Die russische Propaganda nutzte den symbolträchtigen Treffer wenig überraschend genüsslich aus. Der Kreml-treue Militärblogger Alexander Kots etwa lobte in seinem Telegram-Kanal die "Präzisionsarbeit unserer Flugpiloten". Anderswo wurde das "Ende des ukrainischen Telemarathons" gefeiert, als den Moskaus Sprachrohre die ukrainischen Nachrichten verfemen, in denen die russische Aggression konsequent verurteilt wird.

Die Spitze des Turms landete in einem Waldstück.
Die Spitze des Turms landete in einem Waldstück.
IMAGO/Vyacheslav Madiyevskyy

Dass Russland seine Luftangriffe gerade jetzt intensiviert, hat nach Ansicht des US-Thinktanks Institute for the Study of War auch damit zu tun, dass man das Zeitfenster nutzen will, bevor die US-Waffenlieferungen, deren Beschluss der Senat am Dienstag in die Wege leiten wollte, in der Ukraine ankommen. Schon den ganzen Winter und Frühling über nimmt die russische Armee von der Luft aus die kritische Infrastruktur der Ukraine ins Visier, aber auch zivile Zentren und Frontstellungen der in die Defensive geratenen ukrainischen Armee.

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu kündigte indes an, nun auch die möglichen Lieferwege für die US-Waffen in der Ukraine samt ihrer Depots verstärkt anzugreifen. Am Dienstag stellte der britische Premierminister Rishi Sunak ein weiteres Hilfspaket seines Landes für die Ukraine vor, das bisher größte: Dutzende Boote, hunderte Fahrzeuge und 1600 Raketen sollen Kiew dabei helfen, die befürchtete russische Sommeroffensive abzuwehren.

Langsam, aber stetig

Auf dem Boden kommen die russischen Invasoren weiterhin zwar langsam, aber doch stetig voran. Zuletzt meldete Moskau am Sonntag die Einnahme des Dorfes Nowomychajliwka in der Region Donezk, von wo aus es nun, geht es nach den Plänen der russischen Kommandanten, weiter in Richtung der umkämpften Stadt Wuhledar gehen soll. Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums benötigte Russland für die Einnahme Nowomychajliwkas 73 Tage, eine Strecke von fünf Kilometern habe man seither gutgemacht. "Diese Verteidigungsanlagen haben den russischen Bodentruppen extrem hohe Verluste beschert", hieß es dazu am Dienstag aus London. (Florian Niederndorfer, 23.4.2024)