Elfriede Mejchar 
Elfriede Mejchar mit Linhof-Kamera und Stativ Ende der 1970er-Jahre.
Inge Kirchhof/Bundesdenkmalamt, Fotoarchiv Wien

Auf der Nase sitzt eine markante Brille, die Frisur ist kurz und lockig, der Gesichtsausdruck konzentriert. Das Gesicht von Elfriede Mejchar (1924–2020) taucht in dem riesigen Konvolut ihrer Fotografien kaum auf. Zu Beginn ihrer Karriere bezieht sie ihren Platz hinter der Kamera, den sie bis zum Schluss nur selten verlassen wird. Sie ist die Grande Dame und zugleich unbekannte Konstante in der österreichischen Fotografie, ihre Aufnahmen sind Zeuginnen heimischer Zeitgeschichte, fernab von einem schillernden Künstlerinnenleben lichtet sie verlassene Orte, sogenannte Lost Places, ab. Lange bevor das zum Trend wurde.

Und weil ihr Werk von kunsthistorischer Dokumentation über Landschaftsfotografie und Porträt bis hin zu Collagen und experimenteller Analogfotografie reicht, widmen ihr anlässlich ihres 100. Geburtstags nicht nur eines, sondern gleich drei Ausstellungshäuser eine Schau. Die Landesgalerie Niederösterreich, das Wien-Museum und das Museum der Moderne Salzburg konzentrieren sich auf verschiedene Werkperioden der Fotokünstlerin.

Aus der Serie
Aus der Serie "Aether ad narcosim" (1989/1991) von Elfriede Mejchar.
© Elfriede Mejchar/Landessammlungen NÖ

Elfriede Mejchar wird am 10. Mai 1924 als Elfriede Paula Jähnl in Wien geboren, sie wächst in Niederösterreich auf. In den frühen Vierzigerjahren geht sie für eine Fotografieausbildung ins deutsche Nordenham, bis 1945 arbeitet sie für das Wiener Institut für Denkmalpflege und ab 1947 für das Bundesdenkmalamt. Im selben Jahr beginnt sie, Material für ihre erste eigenständige Serie zu sammeln: Für Kriegsflugplatz Markersdorf kehrt sie knapp 50 Jahre lang immer wieder an einen ehemaligen Fliegerhorst der deutschen Luftwaffe zurück und dokumentiert, wie die Natur den ruinösen Betonplatz zurückerobert.

Fortan fotografiert sie vor allem im beruflichen Kontext für das Bundesdenkmalamt, sie dokumentiert Kirchen und Heiligenstatuen. Meistens hat sie währenddessen eine zweite Kamera dabei, mit der sie akzentuierte, lichtmalerische Aufnahmen aus ungewöhnlichen Perspektiven anfertigt. Den Landessammlungen Niederösterreich hat Mejchar 2013 beinahe ihr gesamtes Lebenswerk überantwortet, über 26.000 Datensätze, die immer noch katalogisiert werden. Darunter finden sich unzählige Abzüge von österreichischer Kirchenarchitektur, dieselben Protagonisten, mal nüchtern, mal dramatisch inszeniert.

Aus der Serie
Aus der Serie "Nobody is perfect" (2004) von Elfriede Mejchar.
Elfriede Mejchar/Landessammlung NÖ

Beispiele davon sind in der Landesgalerie Niederösterreich zu sehen, wo der umfassende Werkkomplex anhand von unzähligen kleinformatigen Fotos in Vitrinen klar wird – Mejchar, so erzählt die Kuratorin Alexandra Schantl, hat nie einen Computer oder andere digitale Hilfsmittel benutzt, sondern ihre Fotos ausschließlich analog entwickelt und in Mappen mitgetragen, um potenziellen Käufern oder Galerien eine Auswahl zu präsentieren. Mit profanen Gründen erklärt Schantl, warum Farbfotografien in der Ausstellung eindeutig in der Unterzahl sind: Zu Beginn ihrer Karriere seien jene schlicht zu teuer in der Anfertigung gewesen, später war es schwer, farbige Aufnahmen zu entwickeln, was Mejchar stets selbst übernommen hatte.

Sucht man zwischen den Schwarz-Weiß-Bildern nach Farbe, findet man diese vor allem in ihrem Spätwerk. Mit Studioaufnahmen von Blumen hält Mejchar den Prozess der Vergänglichkeit fest, in der Serie Amaryllis von 1994 bis 2001 interessiert sie sich besonders für den Moment, in dem die Pflanzen ihre volle Blüte bereits überschritten haben. Wenn der Prozess des Verwelkens langsam einsetzt, inszeniert sie diese sinnlich, beinahe erotisch.

Aus der Serie
Aus der Serie "Straßenikonen" (1977) von Elfriede Mejchar.
Elfriede Mejchar / Landessammlung NÖ

Ihre Lost-Places-Fotografien, mit denen sie sich als Vorreiterin gegenwärtiger Trends etablieren sollte, entstehen nebenbei, nämlich auf beruflichen Reisen. Immer wieder steigt sie aus ihrem Dienstwagen aus und nimmt alte Strommasten, Vogelscheuchen oder Autowracks auf. Die Bilder werden zu Zeitdokumenten der österreichischen Peripherie, in der die Uhren stillzustehen scheinen. Es ist immer wieder das vermeintlich Hässliche, in dem Mejchar das Schöne sieht: Die Stofffetzen an den heruntergekommenen Vogelscheuchen flattern im Wind, Pflanzen ranken sich um die verlassenen Autos und machen sie zu einem permanenten Teil der Landschaft.

Das Brachland zwischen Stadt und Dorf ist im Musa zu sehen, in Salzburg konzentriert man sich besonders auf ihre Porträtfotografie. In der Serie Künstler bei der Arbeit aus den späten Fünfzigerjahren zeigt sie Boeckl, Hausner oder Hundertwasser und nimmt dabei Abstand von ihrer Faszination für das Unschöne: "Bei Porträts mag ich es nicht hässlich", soll sie einmal gesagt haben. (Caroline Schluge, 23.4.2024)