Dmytro Lubinets meldet sich per Zoom aus Kiew zum Interview. Hinter ihm hängt eine Karte der Ukraine an der Wand, neben ihm sitzt sein Sprecher, dann legt er auch schon los – mit seiner Kritik am Roten Kreuz und einem Appell, auch an die österreichische Regierung.

Pawel Sawtschuk, der Chef des Russischen Roten Kreuzes, wird heftig kritisiert.
Mart Nigola / Delfi Estonia

STANDARD: Herr Lubinets, laut einer Recherche von STANDARD, "Spiegel", ZDF und anderen Medienpartnern unterstützt das Russische Rote Kreuz den Krieg des Kreml gegen die Ukraine. Die Hilfsorganisation ehrt Rüstungsfabriken und hilft bei der militärischen Ausbildung russischer Kinder und Jugendlicher. Haben Sie noch Vertrauen in das Rote Kreuz?

Lubinets: Grundsätzlich schätze ich die Arbeit des Roten Kreuzes. Es gibt viele humanitäre Projekte, und das Rote Kreuz hilft dem ukrainischen Volk, besonders in diesen grausamen Kriegszeiten. Aber ich habe ein Problem mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC). Sie sollten die Mitgliedschaft des Russischen Roten Kreuzes sofort aussetzen und eine offizielle Untersuchung einleiten.

STANDARD: Im März haben Sie einen Brief an die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften geschickt, in dem Sie eine Untersuchung der Aktivitäten des Russischen Roten Kreuzes forderten. Haben Sie eine Antwort erhalten?

Lubinets: Die IFRC hat bestätigt, dass sie das Schreiben erhalten hat. Aber das ist auch schon alles.

STANDARD: Der Präsident des Russischen Roten Kreuzes wurde noch nach dem Überfall auf die Ukraine ins Governing Bord der IFRC gewählt. Das Gremium tagt diese Woche in Genf. Kann er dort bleiben?

Lubinets: Das ist eine rhetorische Frage, oder? Natürlich kann er das nicht. Er wurde nach dem schrecklichen Massaker in Butscha gewählt. Während die ganze Welt über die Gräueltaten der russischen Armee diskutierte, wählten die Mitglieder der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes den Chef des Russischen Roten Kreuzes in das Gremium. Ich habe wirklich versucht, das zu verstehen, aber es ist mir nicht gelungen.

STANDARD: Sind das IKRK und die IFRC kompetent und willens genug, die Vorwürfe gegen das Russische Rote Kreuz zu untersuchen?

Lubinets: Solange das Russische Rote Kreuz im Governing Board sitzt, nicht. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Die internationale Gemeinschaft des Roten Kreuzes kann immer noch zeigen, dass sie die Verstöße gegen die Grundsätze der Rotkreuzbewegung nicht akzeptiert. Sie kann beweisen, dass sie nicht vollständig von der Russischen Föderation kontrolliert wird.

Dmytro Lubinets, Menschenrechtsbeauftragter der Ukraine, bei einer Konferenz.
REUTERS/VALENTYN OGIRENKO

STANDARD: Im Fall des Belarussischen Roten Kreuzes hat die IFRC die Mitgliedschaft Ende 2023 ausgesetzt, nachdem bekannt wurde, dass die Organisation an der Entführung ukrainischer Kinder beteiligt war. Im Fall des Russischen Roten Kreuzes wurde indes bislang nicht einmal eine offizielle Untersuchung eingeleitet.

Lubinets: Als Russland 2014 die Krim besetzte, hat das Russische Rote Kreuz das Eigentum der ukrainischen Rotkreuzgesellschaft gestohlen: Gebäude, Autos, Computerausrüstung. Aber das IFRC hat nicht reagiert. Russland gewährt bis heute keinen Zugang zu ukrainischen Kriegsgefangenen. Und ich habe nie eine offizielle Reaktion des IKRK gesehen. Russland hat ukrainische Kriegsgefangene getötet – aber das Rote Kreuz hat nicht reagiert. IKRK und IFRK verstecken sich hinter dem Prinzip der Neutralität.

STANDARD: In den Kreml-Leaks-Dokumenten heißt es, dass das Russische Rote Kreuz lokale und regionale Organisationen des Roten Kreuzes in den besetzten Gebieten gründen sollte. Tatsächlich sind das "Rote Kreuz Luhansk" oder das "Rote Kreuz Donezk" entstanden. Sie geben vor, unabhängig zu sein, aber laut STANDARD-Recherchen bestehen Verbindungen zum russischen Roten Kreuz.

Lubinets: Dies sind Tarnorganisationen. Sie alle stehen unter der Kontrolle der Russischen Föderation.

STANDARD: Das Internationale Rote Kreuz arbeitet trotzdem mit ihnen zusammen ...

Lubinets: ... und ich verstehe beim besten Willen nicht, warum.

STANDARD: Wie lange sind Sie noch bereit zu warten?

Lubinets: Meine Geduld ist am Ende. Wir Ukrainer haben nicht mehr viel Zeit. Jeder Tag, an dem das IFRC nicht handelt, bedeutet einen weiteren Tag, an dem die Organisation die russische Aggression gegen mein Heimatland unterstützt. Ich bin verzweifelt. Ich habe so viele Briefe geschrieben. Aber was kann ich noch tun? Ich werde auf jeden Fall an die Öffentlichkeit gehen. Auf Facebook, Instagram und Twitter. Und vielleicht werde ich eine große internationale Konferenz organisieren, und wir werden diese Botschaft an die Länder senden, die Geber dieser Organisation sind.

STANDARD: Das Österreichische Rote Kreuz hat das Russische Rote Kreuz noch 2022 unterstützt*, nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert war. Die Europäische Union ist einer der größten Geber der IFRC und des IKRK. Was ist Ihre Botschaft an sie?

Lubinets: Es ist die gleiche Botschaft wie an das IKRK und die IFRC: Bitte handeln Sie. Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten, damit das Russische Rote Kreuz endlich aus der internationalen Familie der Rotkreuzgesellschaften ausgeschlossen wird. Die ukrainische Regierung hat das Russische Rote Kreuz bereits sanktioniert. Ich bitte die Europäische Union, ihre Mitgliedsländer und die USA, dies ebenfalls zu tun. (Frederik Obermaier, Timo Schober, 22.4.2024)