US-Präsident Joe Biden hat bei einem Wahlkampfauftritt in Pennsylvania mit einer Familienanekdote für Kopfschütteln gesorgt. Biden erzählte am Mittwoch bei einem Auftritt vor Stahlarbeitern in Pittsburgh vom Schicksal seines im Zweiten Weltkrieg verschollenen Onkels. Unterleutnant Ambrose J. Finnegan Junior war 1944 bei einem Flugzeugunglück im westlichen Pazifikraum ums Leben gekommen. Zuvor hatte Biden die Geschichte aus der präsidentiellen Mottenkiste schon gegenüber Journalisten zum Besten gegeben, als er seines Onkels bei einem Weltkriegsdenkmal in seiner Heimatstadt Scranton gedachte und dabei Ex-Präsident Donald Trump für beleidigende Äußerungen über gefallene US-Soldaten tadelte.

Joe Biden bei seiner Rede vor Stahlarbeitern in Pittsburgh.
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Biden erzählte, "Uncle Bosie" habe einmotorige Flugzeuge auf Aufklärungsflügen geflogen. "Er wurde in einem Gebiet abgeschossen, in dem es zu dieser Zeit in Neuguinea viele Kannibalen gab", sagte der Präsident: "Sie haben seine Leiche nie geborgen." Tatsächlich entspricht Bidens Bericht nur in Details den Fakten.

Joe Biden besuchte das Weltkriegsdenkmal in seiner Heimatstadt Scranton.
AFP/ANDREW CABALLERO-REYNOLDS

Notwasserung

Am Nachmittag des 14. Mai 1944 hob eine Maschine des Typs A-20G Havoc zu einem Kurierflug vom Flugplatz Momote auf der Insel Los Negros im Archipel der Admiralitätsinseln Richtung Flugfeld Nadzab bei der Stadt Lae auf Neuguinea ab. An Bord befanden sich drei Besatzungsmitglieder – der Pilot Harold Prince, der Bordschütze Ashford Cardwell und der Ingenieur Anthony Zulkus – und ein Passagier: Ambrose J. Finnegan Junior. Zwar waren die Wetterbedingungen gut, doch technische Probleme zwangen den Piloten zu einer Notwasserung. In geringer Höhe fielen beiden Triebwerke aus, und es kam zu einem harten Aufprall mit der Nase voran. Zulkus überlebte den Unfall und wurde von einem Schiff geborgen. Eine Suchaktion mit zwei Flugzeugen blieb ergebnislos, Prince, Cardwell und Finnegan wurden nie gefunden und werden vom US-Militär als "Missing in Action" geführt. In den Militärberichten ist weder von einem Abschuss die Rede, noch kommen Kannibalen darin vor.

Ambrose Finnegans Name auf dem Gefallenendenkmal in Scranton.
AFP/ANDREW CABALLERO-REYNOLDS

Verärgerung bis Erheiterung

In Papua-Neuguinea sorgen die Aussagen des US-Präsidenten für Verärgerung und auch Erheiterung – in einer Phase, in der sich die USA bemühen, den wachsenden Einfluss Chinas in der Region einzudämmen. Im Vorjahr hatte der US-Präsident kurzfristig eine Reise nach Papua-Neuguinea und Australien abgesagt. In der britischen Tageszeitung Guardian wird der papuanische Politologe Michael Kabuni zitiert. Die Melanesier seien ein stolzes Volk, das eine solche Kategorisierung als Kannibalen als anstößig empfinde. Dabei gehe es nicht darum, dass jemand sage, dass es auf Neuguinea Kannibalismus gegeben habe: "Ja, das wissen wir, das ist eine Tatsache." Doch es komme auf den Kontext an: "Zu unterstellen, dass ihr aus dem Flugzeug springt und wir denken, das sei ein gutes Essen, ist inakzeptabel."

Kabuni zufolge wurde Kannibalismus von einigen Gemeinschaften in bestimmten Umständen praktiziert – zum Beispiel durch das Essen eines verstorbenen Verwandten aus Respekt, um zu verhindern, dass der Körper verwest. "Es gab einen Kontext. Sie würden nicht einfach alle weißen Männer essen, die vom Himmel fielen." Keinesfalls sei es bei den Praktiken um Nahrungsmangel gegangen – Landwirtschaft sei auf Neuguinea archäologisch bereits seit zehntausend Jahren belegt. Kabuni erklärte, dass nach dem Zweiten Weltkrieg 79.000 US-Soldaten als vermisst geführt wurden. Was wolle Biden also aussagen – "alle 79.000, die nie gefunden wurden, wurden gegessen?".

Der Ökonom Maholopa Laveil bezeichnete die Aussagen Bidens als "nicht hilfreich". "Es stellt Papua-Neuguinea in ein schlechtes Licht. Papua-Neuguinea hat bereits viel negative Presse im Zusammenhang mit Unruhen und Stammeskämpfen erhalten". Die Behauptungen Bidens seien unbegründet. Dass ein US-Präsident so etwas sage, wenn auch nur aus dem Stegreif, hätte nicht passieren dürfen, sagte Laveil – insbesondere nachdem viele Deals mit Papua-Neuguinea geschlossen wurden und dem Pazifikraum viel Arbeit gewidmet wurde.

"Wirklich lächerlich"

Der Gouverneur der Provinz Ost-Sepik zeigte sich dem Guardian zufolge eher amüsiert. "Eigentlich fehlen mir die Worte", wird Allan Bird zitiert: "Ich fühle mich nicht beleidigt. Es ist wirklich lächerlich. Ich bin sicher, als Biden ein Kind war, waren das die Dinge, die er von seinen Eltern hörte. Und es hat ihn wahrscheinlich sein ganzes Leben lang begleitet."

Zum Zeitpunkt des Todes seines Onkels war Biden gerade eineinhalb Jahre alt, worauf sich seine Erzählung gründet, ist unklar. Andrew Bates, der Sprecher des Weißen Hauses, erklärte am Donnerstag, Biden sei stolz auf den militärischen Dienst seines Onkels. Er habe die Geschichte von Uncle Bosie hervorgehoben, um die "heilige Verpflichtung" zu unterstreichen, diejenigen, die in den Krieg geschickt werden, entsprechend auszurüsten und sich um ihre Familien zu kümmern.

Familiengeschichte

Biden hat schon einmal eine falsche Geschichte über einen seiner Onkel beim Militär erzählt. Im Dezember 2022 erklärte der Präsident bei einer Veranstaltung in New Castle im Bundesstaat Delaware, dass er seinem Onkel Frank Biden im Jahr 2008 als Vizepräsident für seinen Einsatz im Zweiten Weltkrieg ein Purple Heart verleihen wollte – die höchste Tapferkeitsauszeichnung der USA. Sein Vater Joe Biden Senior habe ihn dazu veranlasst. Onkel Frank habe die Ehrung jedoch aus Respekt vor seinen gefallenen Kameraden abgelehnt. Zwar fand die Präsidentenwahl, bei der Joe Biden im Team mit Barack Obama gewann, im Jahr 2008 statt, doch die Amtsübergabe war erst 2009. Frank Biden starb bereits 1999, und Joe Biden Senior starb 2002.

Auch über den Militärdienst seines Sohnes Beau Biden hat Joe Biden in der Vergangenheit erzählt. Seinen frühen Tod durch einen Gehirntumor im Jahr 2015 führte der Präsident darauf zurück, dass Beau im Einsatz im Irak giftigen Dämpfen aus Gruben zur Müllverbrennung – sogenannten burn pits – ausgesetzt war.

Biden sagte am Mittwoch über Trump: "Dieser Mann hat es nicht verdient, der Oberbefehlshaber meines Sohnes oder meines Onkels zu sein." Er bezieht sich damit auf Äußerungen des Ex-Präsidenten über US-amerikanische Kriegstote. Trump hatte 2018 die gefallenen US-Soldaten auf einem Friedhof in Frankreich als "Verlierer" bezeichnet. 1800 getötete Marines nannte er "Trottel". (Michael Vosatka, 19.4.2024)